Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
jemand die Legende des Jakobus, der angeblich im spanischen Santiago de Compostela seine Tage beschloss. Viel eher als über diese Namen glauben die Menschen heute über Maria Magdalena Bescheid zu wissen: Im Neuen Testament erste Zeugin der Auferstehung, für manche Feministinnen ein Vorbild, für Musical-Komponisten (»Jesus Christ Superstar«) und Romanautoren wie Dan Brown (»Sakrileg«) die Geliebte oder Ehefrau des Heilands.
Wenn wir es nur wüssten! »Von der Individualität der einzelnen Jünger hören wir in den Evangelien aufs Ganze gesehen sehr wenig«, schrieb der Heidelberger Neutestamentler Günther Bornkamm 1956 in seinem Standardwerk »Jesus von Nazareth«. Seither haben Archäologen systematisch an bekannten Schauplätzen des Neuen Testaments gegraben, auch der Zufall kam ihnen zu Hilfe. Das 1986 im See Genezareth gefundene Boot gibt uns eine Vorstellung vom Arbeitsgerät jener Jünger, die Jesus angeblich direkt von ihrem Tagwerk wegholte. In Kapernaum fanden sich unter einer Kirche aus dem 5. Jahrhundert Überreste von Häusern, die aus der Zeit Jesu stammen könnten. Mag sein, dass es sich bei einem um das Haus des Simon Petrus handelt, dessen Frau aus Kapernaum stammte.
Mehr noch als der charismatische Wanderprediger selbst bleiben die Jünger verborgen hinter Überlieferungen der Christenheit. So ganz einig sind sich die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes nicht einmal darüber, wer denn die zwölf waren. Zu ihnen zählten zwar namentlich ein Matthäus und ein Johannes. In der Wissenschaft unumstritten ist aber, dass die Erzähler der Evangelien nicht selbst zum erlauchten Kreis gehörten. Dessen Größe wird mit heiligen Zahlen beschrieben, die jeder Jude aus dem Alten Testament kennen musste: Die zwölf Jünger repräsentieren die zwölf Stämme Israels, denen der Messias Erlösung bringen sollte. Bei Lukas ist von »weiteren zweiundsiebzig« die Rede; unzweifelhaft gehörten dazu auch Frauen. Es waren Frauen, die dem Auferstandenen zuerst begegneten.
Fachleute bezweifeln nicht, dass die namentlich genannten Jünger gelebt haben. »Frühe heidnische Kritiker wie Hierokles oder Kelsos äußerten Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit, nicht an ihrer möglichen Historizität«, erläutert der Neutestamentler Justin Meggitt von der Universität Cambridge. Darüber hinaus wissen wir fast nichts. Dass Jakobus, als Bruder des Heilands auch mit dem Attribut »Herrenbruder« gekennzeichnet, um das Jahr 62 herum hingerichtet wurde, berichtet der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius. Simon Petrus soll den Christenverfolgungen in Rom zum Opfer gefallen sein, über seinem vermeintlichen Grab wurde der Petersdom gebaut. Freilich lag auch den dort gefundenen Knochen kein Personalausweis bei.
»Die sachgemäße Frage an die Texte«, stellt die Theologische Realenzyklopädie fest, »lautet nicht primär, ›wie es war‹, sondern, ›was sie bedeuten‹.« Nicht primär. Dennoch haben die Bibelforscher im Lauf der Jahrhunderte eine Vielzahl von Erkenntnissen zusammengetragen. Dazu gehört die Unterscheidung zwischen dem Zwölferkreis und der weiteren Jüngerschar ebenso wie zwischen den zwölfen, die Jesus selbst berief, und den Aposteln (»Gesandte«), zu denen beispielsweise Paulus gehörte. Die frühen Missionare reisten mit Frauen, und beide Partner werden in der Bibel als Apostel bezeichnet, sagt der Bonner Neutestamentler Martin Ebner: »Konsequenterweise müssten wir uns zu den zwölf Stammvätern auch zwölf Stammmütter dazudenken.«
»Das Abendmahl«
(Ölgemälde von Bonifazio Veronese,
1487–1553, undatiertes Frühwerk)
AKG-IMAGES/CAMERAPHOTO
Namentlich tauchen aber im engsten Kreis bloß Männer auf. Jesus holt die Fischer und Bauern, Zolleintreiber und Handwerker direkt von der Arbeit – keiner stammt aus der oberen Gesellschaftsschicht. Brüderpaare sind dabei wie Simon Petrus und Andreas, der in der orthodoxen Tradition als Erstberufener gilt. Ein früherer Büttel der verhassten Besatzungsmacht (der Zöllner Matthäus, auch Levi genannt), ein fanatischer Gegner der Römer (Simon der Zelot). Bekannte jüdische Namen (Simon, Judas, Matthäus) ebenso wie eindeutig griechische (Philippus, Andreas). Sicher nicht zufällig können sich viele Gruppen der damaligen Gesellschaft vertreten fühlen. Dass nur Männer kenntlich werden, entsprach gewiss der herrschenden Rollenverteilung. Es lädt auch ein zu Spekulationen über homoerotische, gar homosexuelle Beziehungen
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