Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Ähnlichkeiten mit der Jesusbewegung, sie praktizierten »wiederholte Selbstuntertauchungen«, gemeinschaftliches Mahl und auch Gütergemeinschaft. Doch ihre rigide und militante Lebensordnung sei gänzlich anders begründet als in der Lehre Jesu, der sogar zur Feindesliebe aufrief und Umgang mit Sündern und Außenseitern pflegte. Dennoch seien die Texte der Gemeinschaft von Qumran für das Verständnis des Neuen Testaments von großer Bedeutung, betont Theißen, »weil sie die religiöse, soziale und rechtliche Welt im Judäa der beiden Jahrhunderte um die Zeitenwende erschließen«.
62 Jahre nach ihrer Entdeckung, 2009, wurde die Publikation der Rollentexte abgeschlossen. Schon hat das Jerusalemer Israel Museum gemeinsam mit dem Daten-Konzern Google fünf Rollen digitalisiert und fürs Netz aufbereitet. Doch die historische Zuordnung der Schriften vom Toten Meer werde noch weitere Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen, glaubt Ira Rabin. Die Chemikerin und Pergament-Forscherin (»Meine Lebensleidenschaft«) arbeitet an Methoden, die Herkunft und Entstehungsgeschichte von Textfragmenten zu bestimmen, ohne die hochempfindlichen Kostbarkeiten zu zerstören. Rabin hat an der Berliner Bundesanstalt für Materialforschung zusammen mit dem Physikochemiker Oliver Hahn und einem internationalen Team verschiedener Institute Verfahren entwickelt, den Pergamentstückchen schonend physikalische »Fingerabdrücke« abzunehmen. Zeigen Fragmente identische Röntgenfluoreszenz- oder Infrarotspektren, gehören sie zusammen.
»Es ist alles abenteuerlich, was mit Qumran zu tun hat«, sagt die Wissenschaftlerin – auch die Analyse der Tuschen, mit der die Dokumente verfasst wurden. Anhand der spektroskopischen Analyse von Spurenelementen in der »ungewöhnlich fest haftenden Tusche« der Danksagungsrolle konnten Rabin und ihre Berliner Kollegen zeigen, dass das Verhältnis von Chlor und Brom in der Tinte mit dem im Wasser aus der Region des Toten Meeres identisch ist. Für Qumran-Forscher Stökl ist dieses Ergebnis »einer der größten Lichtblicke der letzten Jahrzehnte«. Der Wissenschaftler aus Paris sagt hoffnungsvoll: »Endlich können wir damit wohl diese elende Diskussion beenden, ob die Rollen in Jerusalem oder am Toten Meer beschrieben worden sind.«
TEIL IV
EIN NEUER GLAUBE
Schwache, treue Seelen
Die zwölf Jünger, die den engsten Kreis um Jesus bildeten, waren für die frühen Christen Vorbilder und Leitfiguren. Sie sollen als Märtyrer gestorben sein.
Von Sebastian Borger
Bei Betrachtung des berühmten Gemäldes erinnerte sich Deutschlands Nationaldichter Johann Wolfgang von Goethe an seine Reisen und freute sich an der »Bewegung der Hände«, die »nur ein Italiener finden« konnte: »Bei seiner Nation ist der ganze Körper geistreich, alle Glieder nehmen teil an jedem Ausdruck des Gefühls, der Leidenschaft, ja des Gedankens.« Leonardo da Vinci habe die biblische Szene der Gegenwart des ausgehenden 15. Jahrhunderts angenähert und die heilige Gesellschaft zu Gästen im Speisesaal der Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie gemacht. »Das Tischtuch mit seinen gequetschten Falten, gemusterten Streifen und aufgeknüpften Zipfeln« erschien Goethe wie frisch »aus der Waschkammer des Klosters«.
Das Wandbild des wichtigsten Malers der italienischen Renaissance ist unzählige Male kopiert worden, von frommen Nachahmern ebenso wie für die VW - oder Jeans-Werbung. Da sitzen 13 Männer (oder sind es 12 Männer und eine Frau?) beim berühmtesten Abendessen der Menschheitsgeschichte. Gerade hat Jesus von Nazareth seinen Jüngern die erschütternde Mitteilung gemacht: Einer von euch wird mich verraten! Keine 24 Stunden nach dieser Szene wird der Meister, den sie jetzt entsetzt, ungläubig, Auskunft heischend anstarren, jämmerlich am Kreuz verenden. Die irdische Zukunft gehört dem Zwölferkreis und der weiteren Jüngerschaft. Nicht umsonst hat Leonardo jene nah an Jesus gesetzt, die in den Evangelien mehr sind als Namen in einer Aufzählung: den »Lieblingsjünger« Johannes, Judas, den Verräter, den ungläubigen Thomas und natürlich das draufgängerische Großmaul Simon Petrus, auf dessen Nachfolge sich der Papst bis heute beruft. Sie alle haben die Phantasie von Künstlern und Gläubigen beschäftigt, sie fallen auch Kirchen-Fernen ein, wenn das Stichwort Jünger zur Sprache kommt. Aber der Rest der zwölf?
Vielleicht erinnert sich mancher aus dem Religionsunterricht noch an Bartholomäus, kennt
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