Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
von) identifiziert werden. Dies spricht dafür, dass hier eine Erinnerung an historisch greifbare Jesusjüngerinnen vorliegt. Es gibt auch keinen Grund, warum der Autor des Markusevangeliums die Frauen »erfunden« haben sollte. Denn wenn er für die damalige Zeit glaubwürdige Zeugen gebraucht hätte, wäre es klüger gewesen, an dieser Stelle einige Mitglieder der männlichen Jüngergruppe zu wählen.
Diese sind jedoch aus dem Erzählverlauf des Markusevangeliums bereits seit den Ereignissen um die Verhaftung und den Prozess Jesu verschwunden. Stattdessen bringt der Evangelist an dieser Stelle eine Frauengruppe ins Spiel, die er bislang in seinem Werk noch gar nicht erwähnt hatte. Gleichzeitig gibt er zu erkennen, dass diese Frauen bereits die ganze Zeit dabei waren: Sie waren Jesus schon in Galiläa »nachgefolgt«. Dies ist der Spezialbegriff für die Jüngernachfolge, den Markus auch ansonsten in seinem Werk verwendet. Und auch das Verb »dienen« spielt hier eine besondere Rolle: Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sollen einander »dienen« (Mk 9,35; Mk 10,42 –45). Damit werden die Frauen, die beim Kreuz plötzlich sichtbar werden, also als Nachfolgerinnen und Jüngerinnen Jesu gezeichnet. Es sind nicht nur diese drei, Markus erwähnt zum Abschluss noch eine größere Gruppe von Frauen.
Wenn am Ende des Evangeliums im Rückblick der gesamte Nachfolgeweg dieser Frauen von Galiläa nach Jerusalem aufscheint, bedeutet dies, dass diese Frauen schon das gesamte Werk über mitgedacht und mitgelesen werden müssen, und dass der im Markusevangelium verwendete Begriff der »Jünger« sie einschließt. Dass zur Jesusbewegung von Anfang an Frauen gehörten, kann mittlerweile als Konsens der Forschung bezeichnet werden. Einige von ihnen teilten das heimat- und besitzlose Leben Jesu, andere wiederum wirkten als Sympathisantinnen und Unterstützerinnen für die Jesusgruppe und blieben dabei weiter in ihren Dörfern wohnen. Dies zeigen die Darstellungen der Evangelien. Und nicht nur dies: Auch die Briefe des Paulus zeugen von der großen Bedeutung von Frauen in den Anfangszeiten der Gemeinden. Auch spätere Texte als das Neue Testament deuten auf vielfältige Leitungspositionen von Frauen in der frühen Christenheit hin.
Allerdings war dieses frauenfreundliche Bild der Jesusbewegung nicht immer selbstverständlich. Erstens richtete sich das Forschungsinteresse über lange Zeit nicht auf die Geschichte von Frauen. Zweitens werfen auch die Texte selbst einige Fragen auf. Zum Beispiel wird in den Evangelien kein einziges Mal die weibliche Form »Jüngerin« (griechisch: mathetria) verwendet. Lediglich die Apostelgeschichte bezeichnet in ihrer Darstellung der nach-jesuanischen Zeit eine Frau Namens Tabita aus Joppe als »Jüngerin« (Apg 9,36). Das scheint zu widerlegen, dass es Jüngerinnen gab. Auf den zweiten Blick zeigt sich dann aber, dass der Befund auch bei den Männern nicht viel anders ist; denn in den Evangelien wird mit Ausnahme des Lieblingsjüngers im Johannesevangelium, der eine Besonderheit darstellt, keine andere konkrete männliche Person als »Jünger« (mathetes) bezeichnet. Erst die Apostelgeschichte benennt einige wenige Männer als »Jünger«, so Hananias in Damaskus, Saulus, Timotheus in Lystra und Mnason aus Zypern. Ansonsten begegnet uns das Wort »Jünger« für konkrete Personen stets im Plural und bezeichnet die gesamte Jüngergruppe um Jesus.
Dabei funktioniert die griechische Sprache ähnlich wie die deutsche: Gruppen, die aus Männern und Frauen bestehen, werden in der Regel mit einem männlich konstruierten Wort im Plural bezeichnet. Wenn das Wort »Jünger« im Plural steht, ist es also grundsätzlich offen, ob es Frauen mit einschließt oder nicht. Dies relativiert die erste ernüchternde Bilanz doch erheblich. Und genaue Textanalyse zeigt sodann, dass sich zunächst rein maskulin konstruierte Gruppen wie »Jünger« und »Brüder« überraschenderweise als solche entpuppen, zu denen selbstverständlich auch Frauen gehörten. Als ein zweiter Einwand wird bisweilen angeführt, dass es in den Evangelien keine einzige ausführliche Berufungsgeschichte über eine Frau gibt, während dies bei einigen männlichen Nachfolgern Jesu durchaus der Fall ist. Allerdings ist es auch hier wieder so, dass nur einige wenige Berufungen exemplarisch erwähnt werden, während der Großteil der Nachfolgenden ohne sie auskommen muss. Auch dies spricht also nicht gegen die Existenz von Jüngerinnen
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