Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Jesu.
Auffällig ist, dass in allen vier Evangelien Frauen namentlich aufgezählt werden und dass die Jüngerinnen stets in den Schilderungen der Passion und der Ostergeschichte auftauchen. Bei Lukas kommen die Frauen sogar schon während des öffentlichen Wirkens am See Genezareth vor. Über die Frauen wird erzählt, dass sie bei der Kreuzigung Jesu ausharrten, dass sie beobachteten, wo der Leichnam Jesu bestattet wurde, und dass sie dann, als sie nach dem Sabbat nochmals zum Grab gingen, dieses leer vorfanden. Von einem Engel erhielten sie dort den Auftrag, der übrigen Jüngergruppe die Botschaft von der Auferweckung Jesu zu verkünden. Den führen sie nach Markus nicht aus, in den Erzählvarianten des Matthäus-, Lukas- und Johannesevangeliums hingegen schon, wenngleich mit unterschiedlichem Erfolg. Matthäus lässt den Frauen auf ihrem Rückweg sogar den Auferstandenen selbst erscheinen.
Was genau man sich unter solchen »Begegnungen« mit dem Auferstandenen vorzustellen hat, wäre eine eigene Studie wert. Doch wird deutlich: Die Frauen werden in den Evangelien mit dem brüchigen und gefährdeten, aber überaus bedeutsamen Übergang von Karfreitag und Ostern in Verbindung gebracht. Auch deshalb ist es nicht wahrscheinlich, dass diese Frauen erst in späterer Zeit »erfunden« wurden. Denn gerade für die Auferstehungsbotschaft kommt es ja auf die Zeugen an. Spätere polemische Angriffe gegen das Christentum zeigen, dass unter anderem genau dies zum Problem wurde: die geringere Glaubwürdigkeit der Frauen. So zitiert Origenes einen Kritiker: »Wer hat dies gesehen? Eine wahnsinnige Frau, wie ihr sagt …« Solche Überlegungen machen es aber gerade wahrscheinlich, dass die Namen der Frauen in den Passions- und Osterüberlieferungen auf alten Traditionen beruhen. Sie zeigen, dass die Frauen nach Ostern zu den Trägerinnen der Jesusbewegung gehörten, die entscheidend dazu beitrugen, dass sie nach der Kreuzigung nicht im Sande verlief.
SABINE BIEBERSTEIN
Die Professorin für Neues Testament und Biblische Didaktik lehrt an der Fakultät für Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Unter allen namentlich genannten Frauen ragt eine Figur in besonderer Weise hervor: Maria aus Magdala. Sie wird in allen vier Evangelien genannt und steht in allen Aufzählungen – mit Ausnahme von Johannes (19,25) – stets an erster Stelle. Sie gehört neben Simon Petrus zu den Figuren aus dem Umkreis Jesu, die am besten historisch zu greifen sind.
Maria – in der hebräischen Namensform Mirjam – trägt einen der häufigsten Frauennamen der Zeit. Um sie von anderen Frauen gleichen Namens unterscheiden zu können, wird sie in den Texten konsequent »die aus Magdala« genannt. So wird sie nicht über Familienangehörige identifiziert, wie dies häufig bei Frauen geschah, sondern über ihren Herkunftsort. Magdala war zur Zeit Jesu eine nicht unbedeutende Stadt am See Genezareth mit einer vorwiegend jüdischen Bevölkerung. Die günstige Lage an einer Fernstraße, die Nähe zur fruchtbaren Ebene Ginosar sowie die reichen Fischgründe samt Fischverarbeitung hatten die Siedlung prosperieren und sie zu einer blühenden und einigermaßen wohlhabenden Stadt anwachsen lassen. Quellen, die über Marias Familie oder ihren sozialen Status präziser Auskunft geben könnten, gibt es aber nicht. Ihre Identifizierung über den Herkunftsort lässt allerdings darauf schließen, dass sie nicht verheiratet war und dass sie auch als unabhängig von familiären Bindungen wahrgenommen wurde; denn sonst wäre sie gewiss einem männlichen Familienmitglied zugeordnet worden.
Aus der Beschreibung lässt sich auch folgern, dass sie ihre Heimatstadt verlassen hat. Ob sie das tat, um sich der Jesusbewegung anzuschließen, oder bereits zuvor gegangen war, lässt sich nicht mehr klären. Doch ist ihr Beispiel ein Hinweis darauf, dass auch alleinstehende Frauen zur Jesusbewegung gehörten und zur Gruppe von Wanderprophetinnen und -propheten um Jesus zählten, die heimat-, besitz- und schutzlos waren. Das Lukasevangelium fügt einen weiteren Aspekt zum Bild der Maria Magdalena hinzu: Jesus habe ihr sieben Dämonen ausgetrieben (Lk 8,2). Mehr Details darüber gibt es nicht, doch scheint dieser Hinweis schon früh die Neugier geweckt zu haben; denn schon der Schluss, der im 2. Jahrhundert an das ursprüngliche Ende des Markusevangeliums angefügt wurde, greift dies auf (Mk 16,9–20): Dort wird Maria
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