Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
aus Magdala ebenfalls mit den sieben ausgetriebenen Dämonen in Verbindung gebracht.
Außerdem hat man bald begonnen, dies mit der Erzählung von der stadtbekannten Sünderin zusammenzulesen, die zu Füßen Jesu weinte und ihm die Füße salbte (Lk 7,36 –50). Das schien naheliegend: Die sieben Dämonen Marias wurden mit ihren Sünden gleichgesetzt – obwohl das in biblischen Texten sonst niemals der Fall ist – und mit der Sünderin zusammengebracht. Auch die Protagonistin einer anderen Salbungsgeschichte trägt den Namen Maria: Maria aus Betanien, die Jesus nach Johannes (12) die Füße salbt, ohne dass sie dort allerdings als Sünderin bezeichnet würde. Dennoch war damit das Bild von Magdalena, der Sünderin, geschaffen, das spätestens seit Papst Gregor dem Großen (540 bis 604) im kirchlichen Westen weite Verbreitung fand und bis heute das Magdalenen-Bild prägt.
Es gibt aber auch noch eine andere Spur in der christlichen Auslegungsgeschichte: das Bild der Apostelin. Dieses gründet in den Erscheinungen des Auferstandenen vor Maria. Nach Matthäus (28,9–10) tritt Jesus gemeinsam vor Maria aus Magdala und einer anderen Maria auf. Das Johannesevangelium lässt Maria aus Magdala eine eigene, ausführlich erzählte und sehr bekannt gewordene Erzählung über eine Begegnung mit dem Auferstandenen zuteilwerden, in deren Verlauf Maria Schritt für Schritt zum Verständnis der Auferstehung kommt und am Ende von Jesus selbst ausgesandt wird, um die Osterbotschaft zu verkünden. Er spricht sie sogar mit Namen an, und sie nennt ihn »Meister«. Später läuft sie zu den Jüngern und verkündet: »Ich habe den Herrn gesehen!« (Joh 20,11–18).
Die Aussendung durch den Auferstandenen selbst und die sich anschließende Verkündigung der Osterbotschaft versieht Maria Magdalena mit Zügen einer Apostelin. Diese herausragende Bedeutung ist sicher der Grund dafür, dass sich spätere christliche Gemeinden des 2. und 3. Jahrhunderts ausgerechnet auf sie als Gewährsfrau ihrer Traditionen beriefen, und dass sogar eine spätere Evangelienschrift nach ihr benannt wurde: das »Evangelium der Maria«. In diesem sowie in anderen meist gnostisch inspirierten Texten, die nicht in den christlichen Kanon aufgenommen wurden, erhält Maria aus Magdala sehr interessante und zum Teil überraschende Funktionen als Jüngerin und Gesprächspartnerin Jesu, Partnerin und Gefährtin, Offenbarungsmittlerin und Lehrerin. Eine dieser Schriften, die Pistis Sophia, macht sie gemeinsam mit anderen Frauen sogar zum Mitglied des Zwölferkreises. Explizit ausformuliert wird ihre apostolische Autorität im berühmt gewordenen Titel »Apostola Apostolorum«, der vor allem seit dem 11./12. Jahrhundert weite Verbreitung fand.
»Maria mit dem Jesuskind«
(Gemälde nach Vorlagen Leonardo da Vincis)
DPA / PICTURE-ALLIANCE/IMAGESTATE/IH
In gewissen Phasen der Forschung wurde diese Beteiligung von Frauen an der Jesusbewegung als einzigartig und Jesus entsprechend als besonders frauenfreundlich angesehen. Gewiss war es damals nicht der gesellschaftliche Normalfall, dass sich Frauen aus ihrem Familienkontext lösten, um sich Bewegungen wie der Jesusfolge anzuschließen. Der Platz von Frauen war normalerweise das Haus, ihre Aufgabe die Arbeit für die Familie. Zu Bildung hatten sie weit weniger Zugang als Männer, und ihre juristischen und wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten waren viel stärker beschränkt als die der Männer. Dennoch zeigen zeitgenössische jüdische wie griechisch-römische Quellen, dass die Realität zumeist vielfältiger aussah. Es gibt durchaus Beispiele von eigenständigen, wirtschaftlich unabhängigen und auch gelehrten Frauen. So ist die Beteiligung von Frauen an der Jesusbewegung im Zeitkontext zwar nicht »normal«, aber auch nicht beispiellos. Dennoch darf die gemeinsame Beteiligung von Frauen und Männern als ein wichtiges Kennzeichen der Jesusbewegung angesehen werden, die sich in vielen Gemeinden der ersten Zeit noch weiterentwickelte.
Und Maria, die Mutter Jesu? Sie hat einzigartige Bedeutung in der Christentumsgeschichte erlangt. Sie wird bereits im 2. Jahrhundert von Christen hoch geschätzt. Historisch ist es dabei kaum möglich, etwas Konkretes über diese Frau herauszufinden. Es mag plausibel sein, dass sie aus Nazareth in Galiläa stammte oder zumindest den größten Teil ihres Lebens dort verbracht hat – zu der Zeit ein kleines und unbedeutendes Dorf, die Lebensverhältnisse waren bescheiden, und die meisten
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