Jesus von Texas
werd sehen, was ich tun kann.«
Ich werde ganz, ganz still. Wer ist Lasalle? Die Idee, meinem Gott gegenüberzutreten, schraubt sich in mein Hirn wie ein Bohrer.
Nach dem Frühstück kommt ein Wärter und holt mich ab.
»Yeah, yeah«, kommt es aus den Zellen, als ich vorbeischlurfe.
Wir steigen ein paar Treppen hinab in den unteren Teil des Gebäudes, den Verdauungstrakt gewissermaßen, falls es nicht zu unmanierlich ist, das zu sagen, und kommen in einen dunklen, feuchten Gang, von dem nur drei Zellen abgehen. Sie haben weder Gitter noch Fenster, nur solche Stahlkammertüren wie in einer Bank, mit gepanzerten Gucklöchern.
»Wenn du 'n andrer wärst, als du bist, Mann, wärste nich hier unten«, sagt der Wärter. »Nur berühmte Mörder komm' hier runter.«
»Was ist denn hier unten?« frage ich.
»Man könnte sagen, ein Ort Gottes.«
»Ist der Pfarrer hier unten?«
»Pfarrer Lasalle is hier unten.« Er bleibt vor einer der Türen stehen und öffnet sie mit mehreren Schlüsseln.
»Sie schließen den Pfarrer hier ein?« frage ich.
»Dich schließ ich hier ein, Mann.«
Der Wärter knipst einen Schalter neben der Tür an, und laßgrünes Licht sickert in die schummrigen Ecken der Zelle. Bis auf zwei blanke Metallpritschen zum Ausklappen, die an gegenüberliegenden Wänden befestigt sind, ist sie leer.
»Setz dich. Lasalle is gleich da.«
Er tritt in den Gang zurück und wirft einen Blick in das Dunkel des Treppenschachts. Kurz darauf hört man es klirren und schlurfen, und ein alter schwarzer Mann mit einer zerschlissenen Schiebermütze, einem schlichten grauen Hemd und grauen Hosen erscheint. Auf seinem Gesicht liegt ein versunkenes Lächeln. Man ahnt, daß es schon eine ganze Weile dort ist.
»Klopfen Sie einfach, wenn Sie rauswolln«, sagt der Wärter zu ihm und schließt die Tür.
Der alte Mann klappt sich die Pritsche gegenüber runter und läßt sich quietschend auf die blanken Metallfedern fallen, ohne die geringste Notiz von mir zu nehmen. Dann zieht er seine Mütze tief in die Stirn, legt seine Hände in den Schoß und schließt zufrieden die Augen.
»Äh, sind Sie - der Pfarrer?« frage ich.
Er antwortet nicht. Kurz darauf hört man ein leises Pfeifen aus seinen Nasenlöchern entweichen und sieht, wie seine Zunge sich träge in seinem Mund aalt. Dann nickt sein Kinn nach vorne auf die Brust - er schläft. Ich betrachte ihn ungefähr sechs Jahrzehnte lang, bis ich genug hab von den schummrigen Ecken und der Feuchtigkeit. Ich rutsche von der Pritsche und gehe auf die Tür zu, um nach dem Wärter zu klopfen.
Lasalle rührt sich hinter mir. »Mürrischer junger Einzelgänger«, sagt er, »tapfer und einsam, abgeklärt für sein Alter ...«
Meine Füße verschweißen mit dem Boden.
»Und immer auf dem Sprung, um einen Bus stadtauswärts zu erwischen.« Ich drehe mich um und sehe, wie sich ein leuchtendes gelbes Auge öffnet und mich anstarrt. »Aus dieser Gegend hier fährt nur ein einziger Bus ab, mein Sohn - du weißt, wohin.«
»Wie bitte?« Ich glotze auf seine zusammengesunkene Gestalt. Seine Unterlippe steht ihm wie behindert vom Kiefer ab.
»Irgend 'ne Idee, warum du hier unten bei mir bist?« fragt er.
»Hat mir keiner gesagt.« Ich setz mich wieder auf die Pritsche und beuge mich vor, um einen Blick unter den Schirm seiner Mütze zu werfen. Seine Augen glitzern in der Dunkelheit.
»Nur ein Grund, mein Junge. Weil du nicht bereit bist zu sterben.«
»Ich glaub nicht«, sage ich.
»Weil du die ganzen Jahre versucht hast, aus allem schlau zu werden, den Sachen auf'n Grund zu gehn, aber je mehr du rausgefunden hast, desto weniger hast du kapiert.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich ein Mensch bin.« Lasalle quietscht zur Kante der Pritsche vor. Er zieht eine große Brille aus seiner Hemdtasche und setzt sie sich auf. Riesige Mondaugen wabern wäßrig hinter den Gläsern. »Was hältst du von uns Menschen?«
»Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht mehr so sicher. Ich weiß nur, daß sich alle andauernd die Seele aus dem Leib brüllen, um ihre Rechte einzufordern und so weiter, und ständig sagen sie, wie sehr sie sich freuen, einen zu sehen, dabei würden sie sich höchstens darüber freuen, wenn man mit durchgeschnittener Kehle im Fluß treibt.«
Lasalle lacht glucksend in sich hinein. »Junge, Junge, wie wahr, wie wahr.«
»Aber wirklich! Die Leute lügen, ohne überhaupt drüber nachzudenken, ›Sir, es tut mir leid, ich hab heute Fieber‹ und so weiter, jeden Tag dasselbe,
Weitere Kostenlose Bücher