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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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mein Anwalt durch die Leitung. »Mir fehlen die Worte, um dir zu sagen, wie ich mich fühle.«
    Ich bleibe stumm.
    »Es gibt nichts mehr, was wir tun können.«
    »Was ist mit dem Obersten Gerichtshof?«
    »Ich fürchte, diese Möglichkeit ist in deinem Fall aufgrund des beschleunigten Verfahrens ausgeschlossen. Es tut mir leid ...«
    Als ich das Telefon auf meiner Pritsche ablege, knirscht das Laken wie Kies in meinen Ohren.
    Am Abend installieren sie Kameras in meiner Zelle und entfernen alle Fernseher und Radios im ganzen Trakt. Wir sollen nicht sehen, wie die Abstimmungen verlaufen, darum. Ich sitz einfach nur still in der dunkelsten Ecke und denk über alles nach; nicht mal mit den Klapperkugeln spiele ich mehr. Acht Quantillionen Valentinskarten sind für mich gekommen, von perversen Spinnern aus der ganzen Welt. Jemand in der Poststelle war so nett, mir nur den Brief von Ella Bouchard hochzuschicken. Ich hab sie auf meiner Postliste gelassen, fragt mich nicht, warum. Ich mach ihn aber nicht auf. Der Trakt ist extrastill heute abend, wahrscheinlich aus Rücksicht. Es heißt immer, daß sie die Schlimmsten der Schlimmen sind, aber meine Traktgenossen wissen, was Rücksicht heißt.
    Ich muß noch mal zu Lasalle, unbedingt. Während die erste Abstimmungswoche anläuft, zerbrech ich mir den Kopf über ein paar Sachen, die er gesagt hat. Nicht, daß sie besonders viel Sinn ergaben, als ich noch die Chance hatte zu leben, aber sie haben mir ein Ei ins Nest gelegt, in dem nach und nach etwas heranwächst. Meinem Gott gegenübertreten. Wenn sie nicht gerade mit Werbepost handeln oder lauthals ihre Fernseher und Radios zurückfordern, bereden die anderen im Trakt die Abstimmung dieser Woche und schließen Wetten ab, wen's als erstes erwischt. Sie setzen auf keinen aus unserem Trakt, aber kennt ihr das Gefühl, der letzte Patient im Wartezimmer eines Zahnarztes zu sein? Das bin ich im Moment. Das Problem bei der Abstimmung ist, daß man erst am letzten Tag erfährt, ob man rausgewählt wurde. Man muß sich bereithalten. Manchmal schmiede ich großartige Pläne, was ich alles Durchgeknalltes anstellen könnte bei meiner Hinrichtung - mir Socken über die Ohren ziehen oder bei der letzten Erklärung irgendwas total Absurdes sagen. Ich muß dann immer ein bißchen heulen. Für einen Mann heule ich eindeutig zuviel im Moment, das weiß ich.
    Am letzten Tag der Abstimmung halt ich's nicht mehr aus. In einer Stunde erfährt die Welt, wer sterben wird. Ich nerve Jonesy, daß er mich noch mal zu Lasalle lassen soll, aber er hat keine Lust. Er streitet gerade mit einem anderen Wärter darüber, wer bei den ersten Hinrichtungen die Telefonleitung vom Gouverneur im Hinrichtungsraum überwacht. Hin und wieder schnauzt er mich quer durch den Trakt an.
    »Mr. Laid-his-ma wünscht keine weiteren Besuche«, sagt er. »Außerdem mußt du dir wahrscheinlich bald sowieso um nichts mehr Gedanken machen.«
    Also fange ich wieder an, mit meinen Kugeln zu klappern, so lange, bis der Rest des Trakts auch rummotzt. Es bringt aber gar nichts, außer daß Jones sauer wird. »Hat von euch Arschgesichtern vielleicht jemand 'ne Million Dollar für besondere Freundschaftsdienste übrig?«
    »Nicht schon wieder«, buht der Trakt.
    Ich seufze nur. Die muffige Luftbewegung raschelt durch ein Blatt Papier auf meiner Bank. Zugleich raschelt in meinem Kopf eine Idee. »Jonesy«, sage ich und greife nach dem Lotteriebrief. »Hier hast du deine Million.«
    »Na klar doch«, sagt er.
    »Kein Witz - hier, siehst du.« Ich halte den Umschlag hoch.
    »Willst du mich verarschen oder was?« schnieft Jones. »Diesen beschissenen Mailorder-Mist kann ich jeden Morgen von meiner Auffahrt schaufeln.«
    Ich probiere ein piffiges Lachen an ihm aus. »Tja«, piffe ich. »Wenn du meinst - aber das hier ist 'n rechtlich verbindliches Versprechen über eine Million Dollar. Du weißt, daß sie's nicht schreiben dürfen, wenn's nicht stimmt, und sie schreiben's hier rot auf weiß.«
    »Hey, Little!« ruft ein Insasse. »Was ist, hast du den neuesten Lotteriebrief gekriegt?«
    »So sieht's aus.«
    »Ist die Schrift schwarz oder rot?«
    »Rot, wie sich's gehört.«
    »Gott im Himmel - ich geb dir zweihundert für den Brief«, sagt er.
    »Zeig mal her«, sagt Jones und reißt mir durchs Gitter den Brief aus der Hand. Er schaut kurz drauf, dann sagt er: »Nutzt mir nichts, steht dein Name drauf.«
    »Officer Jones«, sage ich, wie ein Schullehrer oder so, »mein Hinrichtungsset

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