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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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erinnere Sie daran, daß das Kind hier nicht unter Anklage steht. Im Lichte der mir vorliegenden Einzelheiten bin ich versucht, Ihren Verdächtigen zu entlassen und ein verdammt langes Gespräch mit dem Sheriff über die Qualität des Verfahrens zu führen, das an dieses Gericht herangetragen wird.«
    Ihr Blick dringt in jedes Loch, das Vaine hat, wie viele das auch sein mögen. Im hinteren Teil des Raumes preßt der Sheriff seine Lippen zusammen. Er setzt seinen Hut auf und knarrt zur Tür raus. Ich weiß ja nicht, wie das woanders ist, aber hier bei uns werden die harten Lektionen des Lebens mit den Lippen erteilt.
    Abdini ist aufgestanden. »Einspruch!«
    »Immer mit der Ruhe, Mr. Abdini, es gibt noch mehr Anwälte auf Abruf«, sagt die Richterin.
    Gurie zieht ihre Augenbraue nach oben. »Euer Ehren, diese neue Information, wissen Sie ...«
    »Nein, ich weiß nicht. Was ich weiß, ist nicht sehr viel bislang.«
    Die Tippse und Gurie werfen sich einen Blick zu. Sie seufzen. Der alte Gerichtsbeamte dreht sich schlagartig in meine Richtung und runzelt die Stirn. »Sie hat ihn noch nicht gesehen«, murmelt der Wärter hinter mir. Alle pressen sie ihre Lippen zusammen.
    »Was geht hier vor?« fragt die Richterin. »Ist dieses Gericht in ein Paralleluniversum übergewechselt? Und hat mich zurückgelassen?«
    »Ma'am, einige neue Fakten sind ans Licht gekommen - wir sind in diesem Moment damit beschäftigt, ihnen nachzugehen.«
    »Dann werde ich Ihren Verdächtigen entlassen, bis Sie mir Einzelheiten vorlegen können. Außerdem erwarte ich, daß Sie sich für seine Unannehmlichkeiten entschuldigen.«
    Ein Starkstrombeben erschüttert mich - Hoffnung, Erregung und blanke Angst. Wenn irgendwer denkt, ich warte darauf, daß das sogenannte Rechtssystem seine Angelegenheiten auf die Reihe kriegt - den Teufel werd ich. Alle zwei Stunden fährt von Martirio ein Bus Richtung Austin oder San Antonio. Der Geldautomat mit Grannys 52 Dollar fürs Rasenmähen ist eine Querstraße von der Greyhound-Station entfernt. Und die wiederum fünf Straßen von hier.
    Die Tippse seufzt und preßt ihre Lippen noch mehr zusammen. Dann lehnt sie sich hoch zur Richterin und schiebt ihr die hohle Hand vors Ohr. Richterin Gurie lauscht mit gerunzelter Stirn. Sie setzt ihre Brille auf und schaut zu mir. Dann zur Tippse.
    »Wann liegt der nächste Bericht vor? Mittags?«
    Die Tippse nickt; eines ihrer Augen schießt einen selbstgerechten Blick in Richtung Vaine. Die Richterin greift nach ihrem Hammer. »Ich unterbreche die Verhandlung bis 14 Uhr.«
    »Beng.«
    »Erheben Sie sich«, sagt der Wärter.
    Von rauher Erkenntnis abgehärtete Männer, gestählte Typen mit der Austrahlung beiläufig übergeworfener Abgebrühtheit, mürrische alte Jungs mit ungehobelter Größe würden während Mittagspausen vor Gericht wahrscheinlich in ihrer Zelle sitzen und eine einsame Zigarette rauchen. Sie müssen wahrscheinlich nicht mit ihrer Mom telefonieren.
    »Was ich meine, Vernon - hast du ein eigenes Zimmer, oder haben sie dich zusammen mit anderen - du weißt schon, anderen Männern - untergebracht?«
    Barry steht anzüglich grinsend neben dem Telefon und kneift seine Augen zu Ziegenmösen zusammen. Eileenas Augenbrauen scheinen heute mittag ebenfalls hoch zu Roß zu sitzen, soweit ihre Holzschnitzfrisur das zuläßt. Ich weiß ja nicht, wie's woanders ist, aber hier bei uns signalisiert man moralische Überlegenheit mit den Augenbrauen.
    »Du weißt schon«, sagt Mom, »man hört das doch immer, daß die netten Jungs, die sauberen Jungs, also daß die immer - du weißt schon, man hört das immer über die kräftigeren Männer, die gestandenen Kriminellen, daß die sich die netten Jungs vornehmen und ...«
    Nach Gott weiß wie vielen Lebensjahren in diesem freien Land kriegt sie's nicht auf die Reihe, einfach zu sagen: »Hat dich ein Lebenslänglicher von hinten genommen?« Erbärmlich, aber leider wahr. Eine Frau, die hastig die Vorhänge zuzieht und irgendein halbherziges Gespräch anleiert, sobald es zwei Hunde auf der Straße treiben, die sich dann aber wahrscheinlich, soweit ich das beurteilen kann, jede Nacht einen Feuerhydranten in den Arsch schiebt, nur so aus Spaß. Mann, ich sag's euch.
    Ihre Stimme rubbelt auf meiner Kükenschale herum wie Kosmetikwatte. Ehrlich, was soll das denn für ein Scheißleben sein? Durch das Fenster lockt mich das Tageslicht mit einer Melodie von geschmolzenem Fruchteis, das auf den Bürgersteig tropft, und dem Geist winziger

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