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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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so. Ein Schwurgericht würde ihn allein wegen seiner Schuhe verurteilen, nicht, daß seine Schuhe mein größtes Problem wären. Genauer gesagt, sie sind mein geringstes verdammtes Problem, ich sag euch auch, warum. Wenn man nämlich einen Haufen schwabbliger weißer Bürger von der Sorte, die Kuchen-basare für gute Zwecke organisieren, zu Geschworenen ernennt und mit so einem Bauernfänger aus Gott-weiß-woher konfrontiert, kann man getrost davon ausgehen, daß sie ihm kein einziges Wort glauben werden. Sie wissen genau, daß er schmierig ist, aber offiziell dürfen sie nichts unternehmen, weil ja heutzutage alle so tun müssen, als kämen sie prima miteinander klar. Also glauben sie ihm einfach nichts. Zu dieser Erkenntnis bin ich gelangt.
    Demzufolge steht Mr. Soundso Abdini Soundso schwitzend in meiner Zelle und setzt vermutlich gerade dazu an, »demzufolge« zu sagen. Sein Blick hüpft über die Akte in seiner Hand, in der es von vorn bis hinten um mich geht. Er grunzt.
    »Zähl mir waspassitis.«
    »Äh - wie bitte?«
    »Erzähl mir, waspassit ist in der Schule.«
    »Na ja, also, ich war nicht im Klassenzimmer, und als ich zurückkam ...«
    Abdini hält eine Hand hoch. »Auf Toilette gewesen?«
    »Äh - ja schon, aber ich sollte ...«
    »Sehr wicht dickes Beweismaterial«, zischt er und kritzelt was in die Akte.
    »Na ja, nein, ich war ...«
    In dem Moment klirrt ein Wärter an der Tür. »Psst«, macht Abdini und tätschelt meinen Arm. »Kümmre mich drum. Kein Stern is Wörtchen heute, zu niemand. Wir probieren Kaution.«
    Barry ist nicht da an diesem Morgen; ein anderer Wärter eskortiert mich zur Hintertür des Sheriffbüros hinaus auf die Gasse parallel zur Gurie Street. Abdini meinte, Reporter sind heute nicht zugelassen vor Gericht, weil ich minderjährig bin. Sind ohnehin alle bei den Beerdigungen. »Eine Option von mäßiger Attraktivität«, wie der kürzlich verstummte Mr. Arschloch Nuckles sagen würde. Es ist bitter heiß heute - ungewöhnlich, so früh im Sommer. Und so still, wie wenn man den Atem anhält. Trotzdem kriegt man eine Ahnung von den Baumwollkleidern drüben auf der Gurie Street und von Kindern, die durch die Fontänen der Rasensprenger toben. Typische Sonntagsdinge, doch sie sind benetzt mit der Feuchtigkeit von Tränen.
    Drei Häuser neben dem Sheriffbüro steht Martirios altes Bordell, eins der schönsten Häuser des Wilden Westens. Die Freudenmädchen sind längst weg, dafür steht jetzt nebenan das Gerichtsgebäude. Das letzte übriggebliebene Mädchen ist Vaine Gurie, ein echtes Prachtexemplar von einem Spaßvogel. Sie wartet draußen auf uns. Ihre Augen braue sitzt hoch zu Roß heute. Ich werd ein paar Treppen nach oben in den fast leeren Gerichtssaal geführt, wo mich der Wärter in ein kleines hölzernes Gehege mit einem Zaum drum herum bug siert. Rechnet man Nikes, Calvin Kleins und tatsächliche Unschuld zusammen, könnte man beinahe mutig sein hier drin. Was einen dagegen wirklich fertigmacht, ist der Geruch. Der Geruch im Gerichtssaal ist derselbe wie der in Klassenzimmern für Schulanfänger; man denkt sofort, hier müßte Fingermalerei an der Wand hängen. Keine Ahnung, ob sie das mit Absicht machen, um dich zurückzuversetzen und dir Panik einzujagen. Ganz im Ernst - wahrscheinlich gibt's so was wie ein Raumspray speziell für Gerichtssäle und Erstkläßlerräume, um ganz sicherzugehen, daß keiner aus der Reihe tanzt. »Schuldfrisch« oder so - damit man sich in der Schule so fühlt, als ob man schon vor Gericht steht, und wenn man dann im Gerichtssaal landet, hat man das Gefühl, wieder in der Schule zu sein. Man wird auf Fingermalerei eingestimmt, aber was man dann vorgesetzt bekommt, ist 'ne Lady hinter einer dieser abgesägten Schreibmaschinen. Gericht, Mann - verdammte Scheiße.
    Während alle mit irgendwelchen Unterlagen rascheln, schaue ich mich um. Mom hat's nicht geschafft zu kommen, was gar nicht so schlecht ist. Eins ist mir klargeworden: Für den Teil der Menschheit, der die Entscheidungen trifft, existiert keine Wunde in deinem Rücken. Sie ist unsichtbar, das ist das Praktische daran. Merkt ihr, wie's läuft im Leben? Leute werden zu den finstersten Verbrechen oder in Krankheiten getrieben, und alles deshalb, weil jeder mal eben in ihrer Wunde rumstochern kann - eine kleine Bemerkung hier, ein paar Tränen dort, alles scheinbar ganz harmlos. Sämtliche Gerichtshöfe würden sich vor Lachen in die Hosen pinkeln, wenn du ihnen versuchst zu erzählen,

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