Jesus von Texas
ruf nicht wegen irgendwas an, ich wollte nur...«
»Ich hab sieben Dollar und dreißig Cent - nein, ungefähr acht Dollar, das ist alles. Für Lebensmittel.«
»Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, Ma'am - ich dachte, das ist eine Firmennummer.«
»Das stimmt, hier ist Care, ich hab extra Karten drucken lassen für Lalo, ›Care Media Nacogdoches‹, das war der Name, den er sich überlegt hat. Richten Sie Jeannie Wyler aus, das hier ist nie eine schäbige Hinterzimmerfirma gewesen. Wir haben extra mein Bett in den Korridor gebracht, damit Platz für sein Büro ist, damit er Fuß fassen kann.«
Gemischte Gefühle überkommen mich. Lally, wie er, an meine Granny gekettet, eine Klippe runterfällt, so was in der Art. »Ma'am, es tut mir leid, daß ich Sie belästigt habe.«
»Der Präsident ist im Moment nicht hier.«
»Ich weiß, er ist hier bei uns - haben Sie ihn denn nicht im Fernsehen gesehen die letzten Tage?«
»Das ist sehr geschmacklos von Ihnen, junger Mann. Ich bin seit dreißig Jahren blind.«
»Es tut mir wirklich leid, Ma'am.«
»Haben Sie ihn denn gesehen? Haben Sie meinen Lalo gesehen?«
»Um genau zu sein, er wohnt bei meiner - äh - einem Freund von mir.«
»Du lieber Himmel, warten Sie, ich hol einen Stift ...«
Am anderen Ende klappern jetzt noch mehr Sachen. Unterdessen stehe ich hier und frage mich, wie man als Blinder liest und schreibt. Vielleicht, indem man mit den Fingern Linien zieht, die man fühlen kann, in Lehm oder so. Oder Käse, vielleicht hat man immer ein Stück Käse dabei.
»Er muß doch hier irgendwo sein«, sagt sie. »Richten Sie Lalo aus, die Finanzierungsgesellschaft hat alles mitgenommen, die wollten keine Sekunde länger auf die Bezahlung für den Van warten, und jetzt haben die Wylers wegen ihrer Videokamera geklagt. Das muß man sich mal vorstellen! Und ich hab sie überhaupt erst dazu überredet, sie reparieren zu lassen. Diese Kameras reparieren sich nicht von allein über Nacht, hab ich ihr gesagt. Wenn doch bloß nicht alles auf meinen Namen laufen würde ...«
Sie findet den Käse, und ich geb ihr unsere Nummer. Jetzt, da ich die bitteren Realitäten kenne, hat sich meine Freude verflüchtigt. Ich verabschiede mich von der Lady und fahre auf die Hügel zu, um das Gewehr zu finden. Jesus' Geist fährt mit mir, doch er bleibt still. Ich hab den Kurs des Schicksals geändert, und es lastet schwer auf mir.
Entlang der Route durch Keeter's formt das Gestrüpp bizarre Gebilde aus Dornen und knorrigen Zweigen; dazwischen ist gerade so viel Lichtung, daß das Unbekannte nie mehr als fünfzehn Meter entfernt ist. Es gibt nicht viele Lebewesen, die so weit nach Keeter's hineinkommen. Ich und Jesus sind die einzigen, die ich kenne. Als ich ihn das letzte Mal lebend sah, von weitem, da war er auch hier draußen.
Der alte Keeter ist der Besitzer dieser Scholle Brachland außerhalb der Stadt; meilenweit gehört hier wahrscheinlich alles ihm. Er hat diesen Schrottwagenladen an der alten Johnson Road aufgemacht, Keeter's Spares & Repairs. Ein chaotischer Haufen Gerumpel mitten im Dreck, mehr ist das nicht, wirklich. Er betreibt den Laden nicht mal mehr selbst. Wenn wir hier bei uns Keeter's sagen, dann meinen wir normalerweise das Land, nicht die Werkstatt. Kann passieren, daß man ein paar Ochsen hier sieht oder Rehe, aber hauptsächlich vergilbte Bierdosen und so 'n Zeug. Der Rand des Universums dieser Stadt. Hier draußen probieren die Jungs von Martirio ihre ersten Knarren, Mädchen und ihr erstes Bier aus. Niemand vergißt je den scharfen Wind, der durch Keeter's geht.
Mitten im Dickicht des Anwesens liegt eine Bodensenke: einundsechzig Meter im Durchmesser, umgeben von einer filzigen Wand aus Draht und Gebüsch. An der steilsten Seite befindet sich ein alter Minenschacht - unsere Bude. Wir haben uns aus ein paar Blechplatten eine Tür zusammengebastelt und sogar ein Vorhängeschloß angebracht. All die sorglosen Jahre lang war das unser Hauptquartier. Und wenn ihr's genau wissen wollt: Hier war ich auch letztens, am Tag der Tragödie, zum Scheißen. Hier ist das Gewehr verstaut.
Es ist zwei Minuten nach halb drei. Dieser Nachmittag ist heiß und klebrig, dicht geballte Wolken ziehen niedrig und schnell vorüber. Ich komme bis auf etwa zweihundert Meter an die Bude heran, als ich einen Hammerschlag höre. Vor mir in den Büschen bewegt sich was. Es ist Tyne Lasseen, der Betreiber von Spares & Repairs. Er trägt Anzug und Krawatte und versenkt
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