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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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Tragödie in der Luft liegt. Andererseits weiß ich, daß meine alte Dame geradezu von mir erwartet, daß ich kaltblütig bleibe; je länger ich sie kenne, desto überzeugender heult sie, und zwar deshalb, weil mein Blut immer schneller gefriert. Das geht schon so lange, daß sie mittlerweile sogar hyperventiliert. Mein Blut ist kalt wie Eis.
    »O Vernon, wir müssen jetzt wirklich zusammenhalten.«
    »Mom, beruhige dich - geht's um das Gewehr?«
    Für einen Moment hellen sich ihre Augen auf. »Das Gewehr? Nein - sie haben neun Gewehre gefunden am Samstag, und Bar-B-Chew Barn hat die Sieger disqualifiziert, weil sie selber welche entlang der Route versteckt haben. In dieser Stadt gibt es heute so einige Leute, die sich auf was gefaßt machen können.«
    »Was ist denn dann das Problem?«
    Das Heulen setzt wieder ein. »Ich wollte mir heute früh die Geldanlage auszahlen lassen, und die Firma gab's nicht mehr.«
    »Die Anlage, die Lally für dich gemacht hat?«
    »Ich ruf schon den ganzen Tag bei Leona an, aber er ist nicht da ...«
    Sie hat ihre sogenannte Geldanlage bei einer von diesen Firmen mit aneinandergereihten Namen gemacht. »Rechtum, Gollblatter, Pubiss & Crotsch« - so was in der Art. Das sind nämlich die echten Irren, falls es jemanden interessiert - Typen, die ihr Unternehmen wie eine Anwaltskanzlei nennen und sich dann auch noch wundern, daß die Leute sie keine Sekunde aus den Augen lassen.
    »Und morgen stellen sie den Strom ab«, sagt Mom. »Hast du den Vorschuß gekriegt? Ich hab mich nämlich darauf verlassen, ich dachte, wir werden ja wohl lumpige neunundfünfzig Dollar für Strom zusammenkriegen, aber dann sind auch noch die Polizisten gekommen ...«
    »Moment mal, Ma - hast du gesagt, Polizisten waren hier?«
    »H-hmm, so gegen halb fünf. Sie waren okay, ich glaub nicht, daß Lally schon was gesagt hat.«
    »Und was hast du ihnen gesagt?«
    »Na ja, daß du bei Dr. Goosens bist. Sie meinten, daß sie dich morgen in der Klinik abpassen wollen.«
    Als ich am nächsten Morgen erwache, wirkt die Teddyfarm drüben bei Lechugas schäbig und zerfleddert. Niemand sitzt im Schatten ihrer Weide. Wieder ist es Dienstag, zwei Wochen danach. Kurt gibt keinen Mucks von sich, Mrs. Porters Tür ist verschlossen. Zum ersten Mal seit der Tragödie sind keine fremden Leute auf dem Beulah Drive unterwegs. Obwohl der Juni eben erst begonnen hat, fühlt es sich an, als ob der Likör des Sommers bereits verdampft ist und nur diesen trockenen Sirup des Horrors zurückgelassen hat. Um halb elf klingelt das Telefon.
    »Das wird die Stromgesellschaft sein - was soll ich ihnen denn sagen, Vernon, wann du deinen Vorschuß kriegst?«
    »Äh - weiß ich noch nicht.«
    »Soll ich vielleicht mal Tyrie Lasseen anrufen und ihn fragen, warum es sich verzögert? Ich dachte, er hat versprochen, daß du's am ersten Tag kriegst ...«
    »Sag ihnen, ich hab's heute abend.«
    »Bist du dir sicher? Wenn du nicht sicher bist, dann ruf ich lieber Tyrie an ...«
    »Ich bin mir sicher.« Ich kann sehen, wie das Fleisch um ihren Mund vor Scham und Peinlichkeit zuckt, als sie den Hörer abnimmt. Ellas Worte von gestern rasen auf einer Endlosschleife durch meinen Kopf: »Mr. Deutschman würde sogar bezahlen dafür.« Ich hab so getan, als würde mich das nicht interessieren, und das Thema gewechselt, aber damit war klar, daß sich die Idee in meinem Kopf festgesetzt hat. Die teuflische Saat war ausgebracht.
    »Ach, hallo Grace«, sagt Mom. »Er meint, er hat es definitiv heut abend. Nein, er fängt heute später an - er lernt noch was über Marketingprozesse, für die Arbeit. Oh, es läuft super, ganz prima - Tyrie ist ganz begeistert von seinen Fortschritten. Will ihn vielleicht sogar befördern! H-hmm. H-hmm? Nein nein, ich hab selbst mit Tyrie gesprochen, er wird definitiv bezahlt - und Hildegard ist eine alte Freundin, deshalb ist das alles kein Problem. Tatsächlich? Hab ich gar nicht gewußt, daß du sie kennst. Na dann - bestell ihr einen schönen Gruß.« Moms Augen versinken in ihren Höhlen; ihr Gesicht verfärbt sich zu einem schmutzigen Rot. »Wie bitte? Also, wenn du sie vielleicht bis heut nachmittag aufhalten könntest, das wäre wirklich nett. Der Laster ist schon los? Ach so. Aber wenn ich es ihnen in bar gebe, könntest du ihnen dann nicht sagen, sie sollen noch warten ...?«
    Wie aus einer Tube quillt Blut aus beiden Enden meines Körpers und gerinnt zu grotesken, stachligen Formen, die meine Mom vom Telefon aus sehen kann.

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