Jesus von Texas
Tumor. Sie beinhaltet, daß die Ungeliebten und Verschmähten ein Gespür dafür entwickeln, wie sie einen schnell dazu bringen können, ihnen trotz ihres miesen, traurigen Lebens ein wenig Beachtung zu schenken. Manchmal macht mich das alles ganz krank - diese klebrig triefende Nacktheit, dieser trostlose Gedanke, eine von diesen verwundbaren Kokon Kreaturen zu sein - ein sogenannter Mensch. Im Moment ganz besonders. Kondischen-Üh-Mähn, oder wie Mom das immer nennt. Ist 'ne fiese Sache, paßt bloß auf.
Ich laß meinen Rucksack fallen und mache einen Deal mit Ella. Er währt bis zum neunten Schluck des Bieres, das wir uns teilen. Daß es der neunte ist, weiß ich deshalb, weil sie mitzählt. »Mit jedem Schluck wachsen unsere Gefühle«, sagt sie.
Es ist komisch, aber als ich zum neunten Schluck ansetze, habe ich eine Nanosekunde lang tatsächlich das Gefühl, daß ich vielleicht anfange, Ella ein ganz klein wenig zu mögen, fragt mich nicht, warum. Ein paar Wellen schwappen heran; ich spüre, wie beschissen sie dran ist und daß sie einfach von jemandem beachtet werden will. Schon klar, ich bin besoffen, aber trotzdem: Einen Augenblick lang hab ich sie irgendwie ganz gern, mit diesen strohigen Haaren, die ihr ins Gesicht wehen, und mit dem Geruch der warmen Sträucher um uns herum. Meine Hand streift sogar ihr Bein, auf dem sich seidene Härchen aufstellen. Sie wackelt hin und her, bis ein dreieckiger Fetzen Unterwäsche in den Dreck fällt. Doch im selben Moment bläst der Wind diesen Salamigeruch von ihren Beinen, und ich weiche zurück. Ich versuch zwar, mein Gesicht nicht zu verziehen, aber irgendwie passiert's wahrscheinlich doch, und sie kriegt's mit. Und faltet sich wieder zu einem Knäuel zusammen.
»Bernie, warum willst'n nicht rummachen? Bist du 'n Nougatstecher oder was?«
»Spinnst du? Ich find einfach, du bist zu jung, das ist alles.«
»Ich kenn massig Typen, die älter sind als du und mit mir rummachen wollen.«
»Klar doch. Wen denn?«
»Danny Naylor zum Beispiel.«
»Aber sicher doch. Glaub ich kaum.«
»Und ob er will. Und massenweise andere Typen auch.«
»Hör schon auf, Ella ...«
»Mr. Deutschman würde sogar bezahlen dafür, das weiß ich, das weiß ich nur zu gut, viel zu gut, verdammt.« »Scheiße, Ell, Mr. Deutschman ist ungefähr achthundert Jahre alt.«
»Na und, er ist älter als du, und trotzdem würde er bezahlen.«
»Klar doch. Und woher willst du das eigentlich wissen? Warst du bei ihm zu Hause und hast ihn gefragt?«
»Ich war mal bei ihm, da hat er mir 'ne Coke gegeben und mich ein bißchen berührt, am Po ...«
Denkt nicht mal dran. Man hat schließlich seine Ehre als Mann.
Als der Tag zu Ende geht, kurve ich durch die Schluchten und Seitenstraßen nach Hause und halte meine Augen offen, im Falle von herumstreunenden Bullen oder Psychosalbern. Ich bin froh, daß Mom bei Granny ist, da hat sie Gesellschaft und was Warmes im Magen, wenn's auch nur Käsemakkaroni sind. Ich hab meinen Termin bei Goosens sausen lassen und muß aus der Stadt verschwinden, das ist der Stand der Dinge. Und wenn Mom schluchzend daheim sitzen würde, könnte ich sie nie allein lassen, auf gar keinen Fall. So bin ich nun mal programmiert. Als ich beim Haus ankomme, bin ich sogar entschlossen, bei Granny anzurufen und Mom zu beichten, daß die Sache mit dem Job nicht geklappt hat. Komplett reinen Tisch machen, als Geste zum Abschied. Dann, beim Reingehen, höre ich ein unverwechselbares Wimmer-und-Jammer-Repertoire. Der Wind entweicht aus meinen Segeln und bleibt an der Schwelle zurück wie ein etwas sonderbarer Schulkumpel, den man das erste Mal mit nach Hause bringt. Meine alte Dame ist da. Sie heult. Ich steh einfach in der Gegend rum, ohne was zu sagen, so als ob sie mich dann ignoriert. Tut sie natürlich nicht, und das ist genau die Stelle, wo man ihre Nummer durchschaut, weil sie sich laut räuspert und dann den Schwung nutzt, um kräftiger und besser weiterzuheulen. Es bricht mir mein verdammtes Herz - vor allem deshalb, weil sie zu diesen durchsichtigen Tricks greifen muß, um Aufmerksamkeit zu kriegen.
»Was ist denn, Ma?«
»Schnff, squss ...«
»Ma, was ist denn?«
Sie nimmt meine Hand und schaut mir in die Augen wie ein Schmusekätzchen nach einem Traktorunfall, ganz zerknautscht und mit Spucke zwischen den Lippen. »Ach Vernon, mein Schatz, o Gott ...«
Mir bricht der Schweiß aus. Ich kenn das schon, dieses Gefühl; es kommt immer dann, wenn eine ernst zu nehmende
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