Jesus von Texas
So was passiert nur Mördern und Lügnern. Durch meinen Kopf tanzen Gedanken, die dort nichts zu suchen haben. Zum Beispiel, daß ich den Studebaker polieren könnte. Mom legt auf. Ihr Blick zerschneidet mein schaukelndes Boot zu einem Floß.
»Der Stromlaster ist schon unterwegs auf der Tagesrunde«, sagt sie. Das Floß wird von Schwertfischen zerschlitzt. Moms Augenbrauen stützen sich auf einen Ellbogen und schauen zu. »Ich ruf lieber mal Tyrie an«, sagt sie und wühlt in der Schublade des Telefontischs nach ihrem Adreßbuch. Ich bleib vor dem Fernseher auf dem Bauch liegen, so spar ich mir das Umfallen, wenn ich gleich tot bin.
Zwischen die Fetzen meiner Videorecherche drängen sich die Fernsehnachrichten. »... von den Ereignissen in Central Texas noch überschattet«, sagt ein Reporter.
»Offizielle Stellen bestätigten, daß es sich bei der Tragödie, die sich am heutigen Morgen in Kalifornien ereignete, um die bislang schlimmste ihrer Art in diesem Jahr handelt. Stündlich erreichen die erschütterte Gemeinde neue Beileidbekundungen und Hilfsangebote ...«
»Vernon, hast du die Nummer von Spares & Repairs?«
»Äh - nicht bei mir.«
Ich antworte, ohne aufzublicken. Angeblich soll es einen Haufen Geld bringen, seine Nieren zu verkaufen, aber mein Hirn ist schon damit überfordert, sich zu überlegen, an wen. An die Fleischwerke vielleicht? Wer weiß - ich jedenfalls nicht. Der einzige andere Plan, den ich habe, ist Plan B, die Option Verzweiflungstat. Ich schaue die alten Videos von meinem Daddy durch, um ein paar Ideen zu kriegen. Obwohl - eigentlich, um ein bißchen Buttercreme heraufzubeschwören, wenn ich ehrlich bin. Ich bin gerade bei Mach den Deal, das war einer seiner Lieblingsfilme. Eins muß man ihm lassen, meinem Dad: Er hatte alle möglichen Pläne, um reich zu werden.
»Hier ist sie ja - Hildy Lasseen«, sagt Mom. Sie schlurft zurück zum Telefon und nimmt den Hörer ab, begleitet von der wichtigtuerischen Fanfare, mit der die Nachrichten von global auf lokal wechseln.
»Mrs. Lasseen arbeitet nicht in der Werkstatt«, sage ich. »Das ist ihre private Nummer.«
»Die Nummer von Spares & Repairs hab ich auch hier.« Sie beginnt zu wählen. Im Hintergrund laufen die Nachrichten, ansonsten ist alles still.
»Schreiben Sie Martirio nicht so schnell ab«, sagt ein Reporter. »So lautet das Credo eines neuen Multimedia-Projekts, das vom Kampf der mutigen Bürger Martirios inspiriert ist - ein Projekt, das nach Überzeugung seines Begründers die Botschaft vom Triumph des Menschen über die Widrigkeiten seiner Existenz in jeden Winkel der Erde tragen wird.«
»Schon jetzt steht Martirio für Hilfsbereitschaft«, sagt Lally. Mom quiekt auf; der Hörer fliegt zurück auf die Gabel. »Und noch so manche entscheidende Lehre über Verlust, über Glauben und über Gerechtigkeit wartet darauf, zu einer Hilfe für andere zu werden, zu einem Geschenk der - einem Geschenk der Hoffnung und des Mitgefühls an eine Welt, die jeder Hilfe bedarf.«
»Was aber entgegnen Sie auf die Vorwürfe, daß Sie Kapital aus der jüngsten Verwüstung schlagen?« fragt der Reporter.
Lallys Augenbrauen senken sich so tief, wie es die Glaub würdigkeit gestattet. »Jede Tragödie hat ihre Lehren im Gepäck. Wenn man nicht aus ihnen lernt, wird sich das Unglück nur wiederholen. Wir wollen die Herausforderung, der wir uns stellen mußten, und die Früchte unseres Kampfes mit anderen teilen, in der Hoffnung, daß sie diese bitteren Lektionen nicht durch eigenes Leid lernen müssen. Wenn wir nur ein einziges Leben retten können, wo auch immer, dann ist das schon ein Erfolg. Denken Sie auch daran, daß es sich um ein interaktives Projekt handelt - über das Internet können uns Menschen aus aller Welt in Martirio beobachten, sie können uns unterstützen und Einfluß nehmen, rund um die Uhr. Niemand, denke ich, würde das für eine schlechte Sache halten.«
»Das mag sein. Aber jetzt, da die Tragödie hinter uns liegt - glauben Sie da wirklich, daß eine Lifestyle-Show aus einer Stadt, die bisher nur als Barbecuesaucen-Metropole von Central Texas bekannt war, noch ein Publikum finden wird?«
Lally wirft seine Arme zur Seite. »Aber wer sagt denn, daß die Lehre schon hinter uns liegt? Sie kommt noch auf uns zu - noch sind nicht alle Täter vor Gericht, noch sind nicht alle Ursachen gefunden ...«
»Aber die Schuldfrage ist doch zweifelsfrei geklärt?«
»Vom Standpunkt der Medien betrachtet, mag dieser Eindruck
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