Jesuslatschen - Größe 42
gegenüberliegenden Uferseite ein kleines
Boot in unsere Richtung ab, der Bootsführer klappt in Ufernähe einen Steg aus
und fährt direkt auf den Strand. Ich bedanke mich für die Hilfe. Es dauerte
keine zehn Minuten und die kleine Fähre legt drüben an der Promenade von Santona an. Dankbare Blicke kreuzen sich.
Zu dem Ort Noja werde ich nicht direkt, sondern über das Felsmassiv von Buciero wandern. Das Gebiet um diesen Felsen soll eines der schönsten Küstenabschnitte
Nordspaniens sein. Die Faszination entsteht durch das wilde Zusammenspiel
zwischen Meer und Küste vor einer einzigartigen Naturkulisse.
Die Natur und das Wirken der einzelnen
Komponenten losgelöst betrachtet, birgt für mich einen besonderen Reiz.
Nahe einer Festungsmauer beginnt dieser Weg
mit anstrengendem Treppensteigen. Einige Tagesausflügler gehen unbeschwert den
sich anschließenden Wanderweg hinauf. Diesem Weg folge ich, bis zu meiner
Linken ein Steg steil bergauf führt. Am Ende dieses schmalen Weges, wartet laut
Pilgerführer eine fantastische Aussicht. Vorhergegangene Regenschauer haben den
kaum noch sichtbaren moosigen Pfad total aufgeweicht. Die zwölf Kilo Last im
Rucksack ziehen mich förmlich abwärts. Meine Räder, sprich Füße, drehen ein
paar Mal durch. Als ich dann wegrutsche und rittlings auf dem Hang zum Liegen
komme, steigt es mir auch in den Kopf. „Was machst du hier eigentlich?“ Ich
rudere herum, wie der Käfer Samsa in Franz Kafkas
Erzählung „Die Verwandlung“. Als ich wieder auf den eigenen Beinen stehe,
fluche ich laut und schimpfe aus mir heraus. Hilft das? Es hilft eben nicht,
der Weg ist immer noch unverändert anstrengend. Umkehren ist kaum möglich, also
geht es ächzend weiter nach oben. Bis ich vor einer steinernen Turmruine stehe,
das Ziel ist erreicht. Hier oben ein weiter Panoramablick über alles hinter und
vor mir Liegende. Aus dieser Gegenwart heraus, kann ich von hier oben sowohl in
meine nahe Vergangenheit, als auch in die Zukunft blicken. Eingebettet in satte
Natur, unter blauem Himmel, beschienen von der Sonne und bewegt vom Wind, liege
ich hier oben im Gras. Der anstrengende Aufstieg ist schon fast vergessen. So
schnell wirkt die Natur auf den Körper. Umgekehrt wiederum, reagiert der Körper
auf die milden Gaben der Natur.
Die kleinen Köstlichkeiten, welche mir der
Trödler zugesteckt hat, sind eine willkommene Abwechslung auf meinem, heute
eher bescheidenen, Speiseplan.
Erstmals führte ich die Übung des aufgehenden
Samenkorns aus, welche in dem Roman „Auf dem Jakobsweg“ von Paulo Coelho
beschrieben ist. Hier ist genau der richtige Ort, um dieses Exerzitium zu
ergründen. Die Übung lässt einen erst zusammengekauert ruhen, bis man den
Zeitpunkt erkennt, dass im Inneren ein Keim nach außen dringt. Diesem Gefühl
gibt man allmählich nach und entwächst förmlich dieser Hülle. Nachdem man die
Erde durchbrochen hat, wächst man wie ein junges Pflänzchen der Sonne entgegen.
Körper und Geist straffen sich und fiebern regelrecht der Sonne entgegen.
Beendet wird diese Übung mit einem lang anhaltenden Schrei aus tiefster Seele.
Einfach irre, dieses Gefühl hier oben. Befreiend! Schon allein dafür hat sich
der mühsame Aufstieg gelohnt.
Über einen Hohlweg, vorbei an Viehweiden,
führt der Weg allmählich serpentinenartig bergab. Von oben habe ich einen
offenen Blick in den Hof des Gefängniskomplexes „ El Dueso “. Eine ganz schöne Zumutung für die Jungs da drinnen,
denn das Gefängnis bietet einen weiten Blick auf den Strand und das Meer, das
ist eine wirkliche Strafe. Lieber gehe ich frei, wie ein rollender Stein in den
Tag hinein.
Am langen weißen Sandstrand von Barria entlang, befreie ich die Füße aus ihrem Gefängnis
und laufe den gesamten Strandabschnitt barfuß. Ein quitte-gelber Teppich aus
Strandnelken strahlt mir entgegen. Unter Apfelbäumen, inmitten dieser
leuchtenden Blumenwiese, lagern einige junge Menschen. Vor dieser von
Sonnenlicht durchfluteten Kulisse, jongliert einer dieser Leute mit bunten
Bällen. Eigentlich nichts Besonderes, aber für mich haben diese kleinen Dinge
eine andere Bedeutung. Ich nehme diese Farbtupfer in der Zeit auf. Gehe ich zum
Beispiel in den Zirkus, in ein Varietee, einen Trödelladen oder von mir aus in
eine Kirche, so bin ich entweder da oder dort. Entweder läuten die Glocken oder
jemand wirft bunte Bälle durch die Luft. Nehme ich die Dinge aber wie sie mir
begegnen, bin ich näher bei ihnen. Es entfaltet sich ein
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