JesusLuxus - Die Kunst wahrhaft verschwenderischen Lebens
schön. Ich weiß noch, dass mir damals genau diese Bibelstelle in den Kopf kam: Jesus weint über Jerusalem.
Es gibt ein Sakrament der Klage, und es ist immer verbunden mit etwas Wunderschönem. Es ist dieser Augenblick, zu dem ich sage: Verweile doch. Geh nicht weg, du bist so schön. Und zugleich sehe ich schon jetzt, mitten in diesem wunderschönen Jetzt, dass es nicht ewig bleiben wird.
Das Sakrament der Klage ist wie alle Sakramente ein Akt der Verschmelzung. Ich werde eins mit dem, was ich sehe, höre, fühle, spüre. Die Gegensätze vereinen sich, das Vergängliche und das Unvergängliche. Mitten im Glück spüre ich das darin enthaltene Ende. Mitten im Unglück fühle ich meine Erinnerung an die Schönheit, und dadurch, in meiner Erinnerung, bekommt sie etwas Unvergängliches. Das Jetzt und die Zukunft vereinen sich. Die Zeit, die sonst unerbittlich vergeht wie eine Linie, sieht Jesus in diesem Augenblick der Schönheit Jerusalems wie auf einer Fläche. Er sieht die Zinnen des Tempels strahlen und er sieht gleichzeitig den Rauch der Verwüstung und sicher auch die Wiederauferstehung dieser Stadt und was ihr alles noch widerfahren wird bis heute.
JesusLuxus-Anregung: Den Blues finden
Kein Volk hat diesen Ton ausdrucksstärker empfunden als die Afrikaner, die zu Hunderttausenden als Sklaven nach Amerika verkauft wurden. Sie haben diesem Ton den Namen einer Farbe gegeben: Blues. Menschen aus der ganzen Welt haben in den Tönen des Blues ihre eigenen Töne wiedergefunden, dieses lang anhaltende Seufzen, dieser Schmerz, der so viel Energie enthält, die ganze Schönheit und Kraft des Lebens.
Die Struktur eines Blues-Songs findet sich in vielen Musikformen der Klage, von den Psalmen im Alten Testament über die geistlichen Chorgesänge in den Messen von Bach oder Mozart bis hin zu moderner Musik jeder Art, in Jazz und Blues, Hiphop oder Schlager. Es wird einfach gesagt oder gesungen, was ist. Der stummen Klage werden Worte gegeben. Dann wird diese Klage wiederholt, wortwörtlich oder leicht abgewandelt, ein Mal oder hundert Mal. Sie wird dabei variiert in Melodie, Lautstärke oder Tempo, oder sie wird unverändert wiederholt in einer endlos wirkenden Schleife. Die Zeit, den Ort und die Mittel für diese Klage zu finden, ist Luxus. Viele Menschen gönnen sich diesen Luxus nicht. Sie drücken den Jammer weg, schlucken den Ärger herunter, verdrängen die Traurigkeit mit Aktivität oder ertränken ihn in Alkohol. Mein Rat an Sie: Halten Sie Musik bereit, die Ihrem Inneren Ausdruck verleiht, wenn Sie traurig sind oder hoffnungslos, ängstlich, besorgt oder voller Wut. Finden Sie Ihren Blues. Das kann eine CD sein, eine Playliste auf Ihrem MP3-Player oder der Besuch eines Konzerts.
Der Blues ist dabei nicht das Evangelium. Er hat keine eigene Kraft. Er ist nur ein Weg, um Ihre Seele herauszuführen aus der Finsternis. Der Blues ist nicht das Licht. Der Blues kann Sie aber lehren, nicht im Schmerz zu versinken, sondern ihm mit offenen Augen entgegenzutreten: stehen zu bleiben und aufrecht zu klagen.
Beim Sakrament der Klage verschmelze ich mit dem Seufzen der Kreatur, mit dem Todesschrei Jesu, mit der Klage Gottes über seine Schöpfung. So wie Jesus angesichts der Schönheit Jerusalems über Jerusalem weint, so könnte auch Gott weinen angesichts der Schönheit seiner Schöpfung. Nein, er weint nicht über Umweltzerstörung und Ausbeutung, das halte ich für eine menschliche Projektion. Er könnte weinen, denke ich mir, über die Nicht-Ewigkeit, die zu aller Schönheit dazugehört, ob nun Menschen Schuld haben an diesem Ende oder nicht.
Der Sinn der Klage als Sakrament ist es, vorzudringen bis zum tiefsten eigenen Grund und dort offen zu werden für die neue Kraft, die Gott uns schenkt. Nicht irgendwann so ein bisschen, wie eine Schmerztablette zwischendurch, sondern erst im tiefsten Grund. Dann aber die ganze Kraft erhalten, die ganze Heilung. Dort unten - wie Jesus - die Liebe zur Welt und ihrer zerbrechlichen Schönheit entdecken.
Das Sakrament der Klage ist nicht so ein bisschen Jammern und unzufrieden sein. Solches Jammern macht kraftlos und hält einen in der Opferrolle. Das wahre Sakrament der Klage ist ein tiefes, lang anhaltendes Seufzen. Ein Schmerz, der einen zerreißt und der doch gleichzeitig unendlich viel Energie enthält, die ganze Kraft des Lebens. Das Sakrament der Klage kann Tränen enthalten oder auch nicht. Fast immer aber enthält es einen Ton. Dieser Ton entsteht in meinem Innern, aber
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