Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt taten. Statt zuzugeben, dass sie aus einer Laune oder einem Gefühl heraus handelten, verweisen sie auf ein Interpunktionszeichen. Sie sagen etwa: Ich entschied mich für diesen Zeitpunkt , weil er
vor etwas lag, was gerade anfing oder endete;
nach etwas lag, was gerade anfing oder endete;
zwischen zwei bestimmten Zeitpunkten lag;
in einer Pause lag.
Wir alle müssen (unserem Chef, Aufsichtsrat, externen Partnern und uns selbst) erklären, warum wir einen Zeitpunkt einem anderen vorgezogen haben. Und das ist nicht immer einfach. Das gilt vor allem, wenn eine Entscheidung auf einer Größenregel basiert. Nach dieser von mir so benannten Regel wird eine Timingaktion ausgelöst, sobald ein Zustand oder Prozess eine gewisse Größenordnung oder Schwelle erreicht. »Ich tue es, sobald die Kosten zu hoch sind, der Markt zu klein oder meine Geduld am Ende ist.« Eine solche Timingregel lässt sich nur schwer umsetzen, ohne willkürlich vorzugehen. Wie hoch ist zu hoch, wie klein ist zu klein, und wie lang ist zu lang? Das ist oft unmöglich zu sagen. Deshalb verwenden Menschen zeitliche Interpunktionszeichen für die Entscheidung, wann es zu handeln gilt. Wir schauen uns die Kosten am Quartalsende an, sagen sie. Nachdem wir die Umsatzzahlen eines ganzen Jahres haben, beurteilen wir, ob ein Markt zu klein ist. Da wir wissen, dass andere das Timing ihres Handelns anhand von Interpunktionszeichen planen und rechtfertigen, können wir dieses Wissen nutzen, um vorherzusagen, wann sie handeln werden, und unser eigenes Vorgehen zeitlich besser darauf abstimmen.
Interpunktionszeichen können auch erklären, warum eine Handlung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgte, denn sie halten das, was zwischen ihnen liegt, zusammen. Ein Meeting beginnt und endet. Diese beiden Interpunktionszeichen trennen die Vorgänge des Meetings von allem, was vorher und nachher passiert. Sie bündeln und verbinden aber auch die Ereignisse, die das Meeting ausmachen. Mitten in einem Meeting zu gehen wird als Störung empfunden. Wenn es keine Pause, keinen Anfang und kein Ende gibt, besteht kein einfacher Ein- und Ausstieg. Umgekehrt gilt aber auch: Interpunktionszeichen machen Ein- und Ausstiege möglich. Fernsehprogramme beginnen und enden tendenziell eher zur vollen, viertel oder halben Stunde, nicht einige Minuten vorher oder nachher.
John Goode, Portfoliomanager bei Smith Barney, führte Anfang 2000 gemeinsam mit dem Analysten Sanford C. Bernstein eine Studie durch. Im Rahmen ihrer Recherchen untersuchten sie ein bestimmtes zeitliches Interpunktionszeichen. Anhand öffentlich verfügbarer Daten fürdas Jahr untersuchten sie die Geldmenge, die Börsengänge eingebracht hatten, und berechneten, wie viele Aktien in Insiderbesitz auf den Markt kommen würden, sobald die »Sperrfristen« (die Zeitspanne, über die Angestellte ihre Aktien halten mussten) ausliefen. Sie kamen zu dem Schluss, dass vom 30. März bis zum 30. Juni 2000 Insideraktien im Wert von 150 Milliarden US-Dollar frei werden könnten.
Diesen Bericht erhielt Goode am 16. März, eine Woche, bevor der NASDAQ-Aktienindex sein Allzeithoch erreichte. Mehr als diese Ergebnisse – dass ein nach seiner Einschätzung wahrer Tsunami an Aktien den Markt überschwemmen würde – brauchte Goode nicht, um seinen Fonds auf eine »technologiefreie Diät« zu setzen, wie er es formulierte. Die meisten von uns, die Anfang Januar 2000 am Aktienmarkt engagiert waren, dachten nicht daran, wie Anfänge und Enden sich auf Aktienkurse auswirkten. Indem Goode ein Interpunktionszeichen (auslaufende Sperrfristen) untersuchte, entging er dem Crash, der bald folgte.
»Das gehörte zum Grundkurs Wirtschaftswissenschaften«, sagte er. 3
Tatsächlich gehört es jedoch nicht zum Einmaleins der Wirtschaftswissenschaften. In den meisten Einführungstexten zur Ökonomie finden sich keine ausführlichen Erörterungen der zeitlichen Interpunktion und auch nicht sonderlich viele Hinweise auf den Begriff Sperrfrist . Zeitliche Interpunktionszeichen können wie ihre linguistischen Pendants leicht inmitten anderer Belange untergehen. Sie zu nutzen kann jedoch einen großen Unterschied bewirken. Wenn wir die Position von Interpunktionszeichen kennen, können sie uns helfen, Vorhersagen und Entscheidungen zu treffen.
Merkmale zeitlicher Interpunktion
Wer zeitliche Interpunktion für Timingentscheidungen nutzen möchte, sollte wie bei allen Timingelementen zunächst einmal wissen,
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