Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
diversifiziertes Unternehmen versuchen, die Aufmerksamkeit der Börsen auf seine einzige erfolgreiche Sparte zu lenken, wenn es in den anderen Verlust macht.
Austausch oder Markt
Viele Tracks können zusammen einen Markt oder ein Netzwerk bilden. Das geschieht, wenn beispielsweise Einzelne, Gruppen oder Firmen unterschiedlicher Tracks im Rahmen einer Versorgungskette Güter und Dienstleistungen untereinander kaufen und verkaufen.
Engagement
Unternehmen haben unterschiedlich viel miteinander zu tun. In manchen Fällen weiß eine Firma vielleicht nur vage, was eine andere macht. In anderen Fällen beschließt sie vielleicht, die Aktivitäten der anderen aufmerksam zu beobachten. Und in wieder anderen entscheidet sie, mit anderen Firmen in Wettbewerb zu treten oder Einfluss auf deren Tätigkeit zu nehmen.
Unabhängigkeit
Nicht alles steht in einem Zusammenhang. Manche Aktivitäten und Handlungsstränge beeinflussen sich gegenseitig gar nicht. Sie bestehen schlicht nebeneinander. Mein Lieblingsbeispiel stammt aus dem Prosagedicht »Glocke« des einflussreichen russischen Malers Wassily Kandinsky:
Einmal sagte ein Mann in Weißkirchen: »nie, nie tue ich das«. Ganz genau zur selben Zeit sagte eine Frau in Mühlhausen: »Rindfleisch mit Meerrettich.« 27
Auf irgendeine quantenmechanische Art mögen diese beiden Aktionen vielleicht zusammenhängen. Aber praktisch dürfen wir meiner Ansicht nach sicher annehmen, dass sie völlig unabhängig voneinander sind.
Wir haben die Polyphonielinse genutzt, um die externe Umgebung unter die Lupe zu nehmen. Schreiben Sie doch einmal drei oder vier Vorgänge oder Ereignisse aus Ihrem Leben und Arbeitsbereich auf. Stellen Sie sich zwei Fragen: (1) Was passiert gleichzeitig? (2) Welche Dinge geschehen getrennt voneinander? Und wie beeinflussen sich diese verschiedenen Vorgänge oder Prozesse gegenseitig?
Angenommen, die Firmen A, B und C stehen im Wettbewerb um dieselben Kunden. Es herrscht intensive Konkurrenz. Aber während dieses Konkurrenzkampfes bemühen sich andere Akteure (Firmen, Lobbyisten), aktiv Einfluss auf geplante Regulierungen zu nehmen, die Auswirkungen auf die gesamte Branche haben werden. Die Firmen A, B und C sind vielleicht so auf ihren Konkurrenzkampf untereinander fokussiert, dass sie diese Entwicklungen nicht verfolgen und daher nicht auf die bevorstehenden Veränderungen vorbereitet sind.
Ziel der Polyphonielinse ist es, Beziehungen (in Hinblick auf Struktur wie auch auf Einfluss) zwischen den zahlreichen gleichzeitig stattfindenden Prozessen und Ereignissen zu untersuchen. Informell tun wir das ständig. Dieses Kapitel soll lediglich dazu einladen, es systematischer und umfassender zu tun.
Polyphonierisiken
Täglich hören wir etwas über das Auf und Ab der Börsenkurse, aber nur wenig über die unzähligen Transaktionen, die auf anderen, weitgehend undurchsichtigen Märkten und Börsen stattfinden. Tatsächlich passiert sehr viel, was dem durchschnittlichen Investor verborgen bleibt. Angenommen, jemand würde Ihnen sagen, Sie könnten ein Wertpapier mit einer Stückelung von 25 US-Dollar kaufen, das 30 Jahre lang monatliche Zinsen mit einem garantierten jährlichen Zinssatz zwischen 3 und 8 Prozent abwirft, und würden am Ende der Laufzeit Ihr Geld zurückbekommen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein … und war es auch. Aber die Bank Wells Fargo, die dieses Angebot machte, erklärte, sie habe die Investoren umfassend über die Risiken aufgeklärt. Das Problem war,dass sich die Bedingungen in einer Weise änderten, die niemand vorausgesehen hatte. Neue Gesetze zur Reform der Wall Street und zum Verbraucherschutz machten es möglich, die Wertpapiere zu kündigen, die dem Angebot zugrunde lagen. Die Kündigungsentscheidung basierte auf Zinssätzen, und weil nur wenige Institutionen betroffen waren (der Markt war klein), wirkten sich die Beschlüsse eines Unternehmens auf alle aus. Um die tatsächlichen Risiken zu erkennen, hätte ein Investor Veränderungen der Gesetzeslage, der Zinssätze und der Marktgröße beobachten müssen – um abschätzen zu können, wie sämtliche beteiligten Unternehmen alle diese Veränderungen bewerten würden. Das tat niemand.
Floyd Norris, der in der New York Times über dieses Thema schrieb, machte für das Problem teils die Tatsache verantwortlich, dass Wells Fargos »Interesse am Bestand des Wertpapiers dem der Kunden entgegengesetzt« war und das Bankhaus »nicht eindeutig erklärte, was schiefgehen könnte«. 28
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