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rufe dich morgen an und führe es dir richtig vor.« Hastig knöpfe ich das Hemd zu. Suche nach meinen Schuhen. Ihre Eltern können jeden Augenblick kommen. Ihr Bruder. »Hör mal, ein herrlicher Abend, unvergeßlich, hinreißend –«
»Bleib doch noch.«
»Ich kann wirklich nicht.«
Hinaus in den Regen.
Heim. Betäubt. Ich schiebe… und der Schuh rührt sich nicht. Ich blicke zur Lampe hinauf. Nichts. Die Birne dreht sich nicht. Die Kraft ist fort. Was wird jetzt aus mir werden? Commander Blaufeld, der Raumfahrtheld! Nein. Nein. Nichts. Ich werde in das alte Gleis der Menschheit zurückfallen. Ich werde… ein Ehemann sein. Ich werde… ein Arbeitnehmer sein. Und nichts mehr bewegen. Und nichts mehr bewegen. Kann ich wenigstens mein Hemd vom Stuhl heben und auf den Boden werfen? Nein. Nein. Fort. Restlos fort. Ich ziehe die Decke über meinen Kopf. Ich lege die Hände auf meine deflorierte Männlichkeit. Sie allein reagiert. Nur dort bin ich noch potent. Wie alle anderen. Einer mehr in der Herde. Gesteh es dir ein: du wirst nichts mehr bewegen. Ich bin wieder ein gewöhnlicher Mann. Ich kämpfe gegen die Tränen, rolle mich in der Dunkelheit zusammen, und schwitzend, ein wenig stöhnend, mühevoll, tauche ich betäubt hinab in den Treibsand, in die ersten Augenblicke der langen, farblosen Jahre vor mir.
Die Mutanten
Gestern hat es geschneit, zehn Zentimeter. Heute fegt ein schneidender Wind vom Meer her und stäubt durch die Schneeverwehungen. Das ist der tiefste Winter, der Tiefpunkt des Jahres. Das ist die Jahreszeit, in der die Mutanten kommen. Vor zehn Tagen sind sie aufgetaucht, die sechs Familien, wie immer, und haben alle Strandhäuser auf der Nordseite der Dune Crest Road gemietet. Sie kommen gern im Winter, wenn die Urlauber fort und die Strände leer sind. Wahrscheinlich mögen sie es nicht, wenn so viele Normale um sie herum sind. Im Winter gibt es nur den kleinen harten Kern der Dauerbewohner, wie wir etwa. Und die Mutanten machen uns nichts aus, solange sie uns nicht stören.
Ich kann sie jetzt am Strand herumtoben sehen, Kinder und Erwachsene. Die Kälte scheint ihnen überhaupt nichts auszumachen. Mir würde das sehr viel ausmachen, bei diesem Wetter draußen zu sein, aber sie halten es nicht einmal für nötig, Mäntel anzuziehen. Sie tragen nur leichte Windjacken und Pullover. Sie haben eine dickere Haut als wir, nehme ich an – ledrig aussehend, glänzend, apfelgrün – und vielleicht einen anderen Metabolismus. Sie könnten beinahe Bewohner von einem anderen Planeten sein, aber nein, sie sind alle in den USA geboren, wie Sie und ich. Mutanten eben. Mißgeburten, so haben wir sie früher genannt. So darf man sie natürlich nicht mehr nennen.
Sie vollführen ihre Mutantentricks. Sie können fliegen, wissen Sie. Es ist eigentlich kein richtiges Fliegen, sondern eher eine Art Springen und Segeln, aber sie können zehn, fünfzehn Meter in die Luft hinaufhüpfen und drei oder vier Minuten schweben. Levitation, nennen sie das. Eine Gruppe von ihnen schwebt jetzt draußen über dem Meer, hoch über der Brandung. Geschähe ihnen recht, wenn sie hinunterfielen und tropfnaß würden. Aber das passiert ihnen nie. Und da, zwei von ihnen bewerten sich mit Schneebällen, ohne die Hände zu benützen, packen den Schnee einfach mit ihren Gedanken, kneten ihn zu Bällen und werfen damit. Telekinese nennt man das.
Diese Ausdrücke habe ich von meiner älteren Tochter Ellen.
Sie ist 17. Sie gibt sich viel mit einem der Mutantenkinder ab. Mir wäre lieber, sie würde sich von ihm fernhalten.
Levitation, Telekinese. Mutanten, die Strandhäuser mieten. Eine verrückte Welt, heutzutage.
Sehen Sie sie sich an, wie sie herumspringen. Sie sehen glücklich aus, nicht?
Es ist drei Wochen her, seitdem sie gekommen sind. Minny, meine jüngere Tochter, sie ist 9, hat mich heute nach den Mutanten gefragt. Was sie sind. Warum es sie gibt.
Ich sagte, es gibt alle möglichen Arten von Menschen. Manche haben braune Haut und gekräuselte Haare, manche gelbe Haut und geschlitzte Augen, manche –
Das sind die Rassen, sagte sie. Darüber weiß ich Bescheid. Die Rassen sehen äußerlich sehr verschieden aus, aber innerlich sind sie alle ziemlich gleich. Die Mutanten sind aber ganz anders. Sie haben besondere Kräfte, und manche von ihnen haben fremdartige Körper. Sie unterscheiden sich mehr von uns als andere Rassen, und das ist es, was ich nicht verstehe.
Sie sind etwas Besonderes, sagte ich. Sie sind auf andere
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