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Weise geboren als alle anderen.
Warum?
Weißt du, was Gene sind, Minny?
So ungefähr, sagte sie. Wir lernen das jetzt erst.
Die Gene bestimmen, wie unsere Kinder aussehen werden. Deine Augen sind braun, weil ich die Gene für braune Augen habe, verstehst du? Aber manchmal verändern sich die Gene einer Familie plötzlich. Etwas Fremdes schleicht sich ein. Gelbe Augen, vielleicht. Das wäre eine Mutation. Die Mutanten sind Leute, bei deren Genen vor fünfzig, hundert, dreihundert Jahren etwas Seltsames passiert ist, und die Veränderung der Gene war von Dauer und wurde von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Wie das Gen für ihr Schweben. Oder das Gen für ihre glänzende Haut. Es gibt alle möglichen mutierten Gene.
Wo sind die Mutanten hergekommen?
Sie sind immer schon dagewesen, sagte ich.
Aber warum hat niemand über sie gesprochen? Warum steht nichts über die Mutanten in meinen Schulbüchern?
Es dauert, bis etwas in die Schulbücher kommt, Minny. Deine Bücher sind vor zehn oder fünfzehn Jahren geschrieben worden. Damals wußten die Leute noch nicht viel über Mutanten, und man sprach kaum darüber, vor allem nicht mit Kindern in deinem Alter. Die Mutanten verbargen sich noch. Sie lebten in entlegenen Gegenden und tarnten sich und verheimlichten ihre Kräfte.
Warum verstecken sie sich nicht mehr?
Weil sie es nicht mehr nötig haben, sagte ich. Die Zeiten haben sich geändert. Die normalen Leute haben sie akzeptiert. In den letzten hundert Jahren haben wir eine Menge Vorurteile abgelegt. Früher hat jeder, der auch nur ein bißchen anders war, die übrigen Menschen beunruhigt. Jede Art von Unterschied – Hautfarbe, Religion, Sprache – brachte Probleme, Minny. Nun, wir haben gelernt, Leute zu akzeptieren, die nicht sind wie wir. Wir akzeptieren sogar Leute, die nicht ganz menschlich sind. Wie die Mutanten.
Wenn du sie akzeptierst, sagte sie, warum wirst du dann wütend, wenn Ellen am Strand mit Wie-heißt-er-gleich herumläuft?
Ellens Freund ging nach den Weihnachtsferien aufs College zurück. Er heißt Tim. Ich finde, sie schreibt ihm zu viele und zu lange Briefe, aber was kann ich machen?
Meine Frau meint, wir sollten etwas geselliger zu ihnen sein. Sie sind schon sechs Wochen hier, und wir haben nur die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht – freundliches Nicken, ein Lächeln, mehr nicht. Wir kennen nicht einmal ihre Namen. Ich komme auch zurecht, wenn ich sie nicht kenne, sagte ich. Aber meinetwegen. Gehen wir hin und laden sie ein, heute abend etwas mit uns zu trinken.
Wir gingen zu dem Haus, das Tims Familie gemietet hat. Ein Mann, der in jedem Alter zwischen 3 5 und 5 5 sein konnte, öffnete uns. Es war das erstemal, daß ich einen von ihnen ganz aus der Nähe sah. Er hatte flache Züge, und die Augen standen seltsam weit auseinander, seine Haut glänzte so, daß sie wie eingewachst aussah. Er bat uns nicht herein. Ich konnte seltsame Dinge hinter ihm beobachten – Leute, die oben an der Decke schwebten und dergleichen. Wir standen an der Tür, verlegen und ungeschickt, drucksten herum und sagten endlich, was wir zu sagen hatten. Er war nicht interessiert. Man merkt es gleich, wenn jemand an näheren Beziehungen nicht interessiert ist. Er sagte ganz kühl, sie hätten jetzt zu tun, erwarteten Gäste und könnten nicht vorbeikommen. Aber sie würden sich melden.
Ich wette, das war das letzte, was wir von ihnen gehört haben. Reservierte Leute, das, die für sich bleiben wollen und eine Art Getto errichten.
Na, macht nichts. Ich muß ja nicht mit ihnen zusammen sein. In etwa zwei Wochen gehen sie ohnehin wieder.
Wie schnell die Monate wechseln. Heute der erste Schneesturm der Jahreszeit, dabei ist es noch nicht einmal richtig Winter. Unsere seltsamen Freunde werden wohl bald an die Küste zurückkommen.
Am Freitag sind drei von den Familien eingezogen, und die anderen drei kamen heute. Minny hat schon einen Besuch gemacht. Sie sagt, dieses Jahr hätte Tims Familie ein Haustier dabei, einen Mutantenhund, nichts Geringeres, eine Art Pudel, nur mit Schuppenhaut und grellroten Augen, wie Murmeln. Mich fröstelt dabei. Ich wußte nicht, daß es Mutantenhunde gibt.
Ich hatte gehofft, Tim wäre zum Militär gegangen oder dergleichen. Keine Rede. Er wird zu Weihnachten zwei Wochen hier sein. Ellen zählt schon die Tage.
Ich habe den Mutantenhund draußen am Strand gesehen. Wenn man mich fragt, ist das kein Hund, sondern eine Art Rieseneidechse. Aber sie bellt. Und wedelt mit dem
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