Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Vorteil hat, dass auf dem Schulhof Deutsch gesprochen wird, höchstens ein bisschen russisch und verschwindend wenig türkisch. Gute Deutschkenntnisse wiederum erhöhen die Chance, dass Vincent nicht Türsteher oder Drogendealer wird, sondern in der Lage ist, fehlerfrei einen Hartz-IV-Antrag auszufüllen.
Leute, die sich spät vermehren, werden komisch, andererseits ist es Trend. Aber will ich überhaupt Kinder? Wie ein göttlicher Fingerzeig erschien es mir da, als ich im Wartezimmer meines Arztes über eine Frauenzeitschrift stolperte. Im »Goldenen Herz« fand ich eine Rubrik »Lebenshilfe für Fraue n – Fragen Sie Frau Dr . Sommer«. Eine erstaunlich einfühlsame Dame, in die ich gleich Vertrauen setzte; als Jugendliche hatte ich des Öfteren mit ihrem Mann korrespondiert. Zu Hause setzte ich mich an den Rechner und schrieb:
»Liebe Frau Dr . Sommer, ich bin eine Spätgebärende auf dem Weg zur frühen Menopause. Meine innere Uhr tickt sozusagen im Rhythmus eines Geigerzählers in Tschernobyl. Jahrzehntelang wollte ich nie ein Kind, weil so etwas doch viel Umstände bereitet. Nun aber, wo das Elterngeld höher ist als der Hartz-IV-Regelsatz, überlege ich mir doch, meine biologische Pflicht zu erfüllen. Gerade heute, wo die Rentenversicherung keinen Pfifferling mehr wert ist, lohnt es sich vielleicht doch, auf die Vorsorge durchs eigene Kind zurückzugreifen.«
Zu meinem Entsetzen entpuppte sich Frau Dr . Sommer als erschreckend kinderfeindlich. Sie schrieb:
»Liebe Spätgebärende,
eine solche Entscheidung will wohl überlegt sein. Vielleicht gehen Sie vorher mal samstags nachmittags zu Ikea. Heulkids und Nervsbrut satt und im Drei-Minuten-Takt Durchsagen verzweifelter Kinderfräuleins aus dem Nachwuchs-Aufbewahrungssystem: »Der kleine Geronimo möcht e … Kreisch, Tränen, … die kleine Chastity-Claire will gerne abgeholt werden, brüll, heu l …« Keiner holt diese Kinder ab. Warum? Weil den Eltern im Nachhinein aufgegangen ist, das »Chastity-Claire« ›erleuchtete Keuschheit‹ heißt und sie bei der Namensgebung offenbar einer Art vorgezogener Senilität erlegen sind? Nur weil sich der Trend im letzten Jahrhundert von der Großfamilie zum Einzelkind bewegt hat, muss nun ein Kind gleich sechs Namen tragen.
Wenn Sie, liebe Spätgebärende, nun aller Vernunft zum Trotz ihrer biologischen Bestimmung Folge leisten möchten, erlaube ich mir einen kleinen Ausblick auf Ihre nächsten fünf Jahr e – wen n – nennen wir ihn ›Leonard-Finley‹ Ihr Leben bestimmt. Und Ihre Schlafphasen. Ihr Man n – falls Sie einen haben, der den Namen verdien t – zieht nach einer Woche ins Arbeitszimmer. Ihr Sexleben tendiert gegen null, weil Leonard-Finley bereits den Ansatz von Zärtlichkeiten durch eifersüchtiges Gebrüll untergräbt. Zudem hat Ihre Figur Ihnen die Schwangerschaft übel genommen. Sie haben keine Zeit mehr zum Duschen, Schminken, Haaremachen. Daher schneiden Sie sich den praktischen Jungmutter-Bob und tragen 9 5 Prozent der Zeit einen genauso praktischen Jogging-Anzug. Sie riechen nach Pipi und ausgekotzter Milch und sind binnen drei Monaten ein nervliches Wrack.«
Ich war entsetzt und schrieb:
»Liebe Frau Dr . Sommer!
Sie malen aber reichlich schwarz! Immerhin gibt es Tagesmütter, Krabbelgruppen und somit nach spätestens zwei Jahren wieder Zeit für Duschen, Friseur und eine harmonische Beziehung.«
Frau Dr . Sommer schrieb gleich zurück.
»Liebe Spätgebärende,
vielleicht besuchen Sie undercover mal eine Krabbelgruppe. Ziehen Sie einfach einen Jogginganzug an und verzichten Sie auf Make-up und Frisur. Solche Krabbelgruppen organisieren Sie künftig mit Ihren neuen Freundinnen aus dem Schwangerschafts-Hechelkurs, übrigens Ihren einzigen verbliebenen sozialen Kontakten. In der Krabbelgruppe üben die kleinen Biester soziales Verhalten, heißt: Das dickste und stärkste Kind ist »Der Pate« und die dünnen ohne Nike-Schuhe kriegen Haue. Damit sich die Krone der Schöpfung frei entfalten kann, müssen Kinder heutzutage nackt krabbeln. Wenn sich alle entfaltet haben, sieht ihr Wohnzimmerteppich aus wie eine Sickergrube und riecht auch so.
Werfen wir nun einen Blick auf Ihre ›harmonische Beziehung‹. Die ist wirklich harmonisch, denn kaum noch vorhanden. Sie und Ihr Mann leben wie Brüderlein und Schwesterlein. Im Mittelpunkt steht einzig das Wohl von Leonard-Finley. Ihr Mann arbeitet immer länger, um später die horrenden Studiengebühren des mittlerweile Zweijährigen bezahlen
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