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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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flogen durch die Luft, die Papageien flatterten und kreischten, die Hauptdarstellerin auch,
Lärm, Chaos, Abbruch.
    Die karierten Jungs brachten den Laden schnell wieder in Ordnung und der freundliche Homo tupfte mir das bisschen Blut von der Stirn. Es konnte weitergehen.
    Doch die Hauptdarstellerin bebte vor Empörung. Das sei ganz allein meine Schuld gewesen, brachte sie mit einem unterdrücktem Schluchzen hervor, wer ich denn überhaupt sei, wollte
sie wissen, und ob die Produktion denn schon so abgebrannt sei, dass sie sich nur noch solche dahergelaufenen Idioten leisten könne. Sie habe jedenfalls genug, sie wolle nach Hause, jetzt
sofort wolle sie nach Hause oder zumindest ins Hotel, zuerst in die Badewanne und dann in die Hotelbar oder umgekehrt, auf keinen Fall wolle sie mit dieser lächerlichen Veranstaltung hier noch
was zu tun haben, sie spiele nämlich Bundesliga, falls das schon irgendjemandem in dieser Runde von unbegabten Volltrotteln aufgefallen sein sollte, Bundesliga, und nicht in einer
viertklassigen Amateurliga!
    Bebend und rauschend verließ sie den Laden und stöckelte quer über den Platz in Richtung Hotel, wurde aber schnell vom Produzenten und vom Regisseur eingeholt. Etwa eine halbe
Stunde dauerte die Diskussion unter den gierigen Blicken der Schaulustigen, eine Szene voller Dramatik und Tiefe, die schlussendlich vom Produzenten beendet wurde, und zwar mit dem gar nicht einmal
unhöflich eingebrachten Vorschlag, das Schätzchen möge doch bitte jetzt sein überbezahltes Luxusgestell schleunigst wieder ans Set bewegen, da es nämlich
ansonsten – Bundesliga hin oder her – nie wieder, aber auch wirklich nie, nie wieder, über einen gottverschissenen Bildschirm auf diesem Planeten flimmern werde!
    Für ein paar Augenblicke lag eine unheilvolle Stille über dem Platz. Alle hielten den Atem an. Plötzlich aber erschien wie aus dem Nichts ein zuckersüßes Lächeln
auf dem Gesicht der Hauptdarstellerin. Fast gleichzeitig warf sie den Kopf in den Nacken, drehte sich um und lief elegant mit den Hüften schaukelnd zurück zum ehemaligen Strickwarenladen
der alten Frau Chalupa, aus dem schon das Miauen des schwerkranken Kätzchens wie ein zarter Hilferuf ins Freie drang.
    Irgendwann hatten wir die Szene im Kasten.
    »Danke!«, sagte der Regisseur und schlurfte ins Freie. Sofort rannten alle wie wild herum, um den Laden auseinanderzunehmen. In Windeseile waren Dekoration, Schienen, Scheinwerfer
und Lichtsegel abmontiert. Die Kamera und die Papageien wurden in Sicherheit gebracht, und das Kätzchen wurde von der Hauptdarstellerin persönlich an den gepuderten Busen gedrückt
und unter dem gerührten Applaus der Schaulustigen davongetragen.
    Im Laden war es jetzt wieder still. Nur in den Aquarien plätscherte es leise. Vielleicht wollte man sie später abtransportieren, vielleicht hatte man sie einfach vergessen.
    Ich hockte in der Mitte des Raumes auf einer leeren Futterkiste und starrte vor mich hin. Der Boden war übersät mit Sonnenblumenkernen und den Kippen des Kameramanns. Es roch nach
Katzenpisse und Hauptdarstellerinnenparfum. Mir war kotzübel vom Kaffee, ich fühlte mich müde und abgeschlafft, gleichzeitig aber auch gut. Ich hatte es geschafft. Ich hatte meinen
ersten Film gedreht.
    Die Tür ging auf, und der Regieassistent kam herein. Direkt vor mir blieb er stehen und blickte mit seinem spöttisch verzogenen Mündchen auf mich herab.
    »Ich wusste, dass du es nicht bringst!«, sagte er.
    Eine Weile betrachtete ich seine Schuhe, dieses zarte, einwandfreie und glänzend geputzte Leder. Dann stand ich auf, packte ihn am Kragen und tauchte seinen Kopf wuchtig in eines der
Aquarien. Sofort fing er an mit allen Gliedmaßen wie wild herumzurudern. In seiner hilflos vorgebeugten Haltung konnte er jedoch keine Kraft entwickeln. Vergeblich wollte er sich hochstemmen,
seine Füße glitten auf den Sonnenblumenkernen weg, seine Hände fanden an den glatten Glaswänden keinen Halt. Wie die Flügel einer sterbenden Möwe flatterten seine
Ärmchen sinnlos in der Luft herum. Ich packte noch etwas fester zu und beugte mich auf Blickhöhe zu ihm hinunter. Unsere Gesichter waren nur ein paar Zentimeter und eine Glasscheibe
voneinander entfernt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er zu mir heraus. Seine weiße Haut schimmerte wie Marmor in dem grünlichen Wasser. Seine Haare schwebten wie rote
Algenfäden um seinen Kopf. Ein kleiner, gelber Fisch zog vor seiner Nase vorbei, blieb einen

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