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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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unschlüssigen Augenblick fast regungslos stehen, beschleunigte plötzlich mit einem
einzigen Flossenschlag und verschwand elegant hinter seinem Hemdkragen. In einem heftigen, ruckartigen Aufbäumen versuchte er sich freizustrampeln. Es sah komisch aus. Die Verzerrungen in
seinem Gesicht wollten nicht so recht zu seinem dumpf verblubberten Gebrülle passen. Sein Kragen lag gut und fest in meinen Fingern. Ich tauchte ihn noch ein bisschen tiefer ein. Das Wasser
schwappte über den Rand und versaute den ganzen Boden. Unter seinen Schuhsohlen spritzten die Kerne weg, seine feuchten Hände quietschten auf den Scheiben. Ein paar schlanke, blau
schimmernde Fische schossen in ihrer Panik wild hin und her. Aus seinem weit aufgerissenen Mund blubberte eine große Luftblase heraus und stieg an seinem Gesicht entlang in Richtung
Oberfläche. Für einen kurzen Augenblick sah ich seine entsetzten, starr auf mich gerichteten Augen wie durch ein waberndes Lupenglas vergrößert.
    In dem Moment, als er aufhörte, sich zu wehren, zog ich ihn heraus. Er glitt zu Boden wie ein nasser Lappen und blieb liegen. Die Fische beruhigten sich schnell. Ein paar hingen schon
wieder an den Scheiben und starrten mit blöden Augen zu uns heraus. Der Regieassistent lag zitternd in der Pfütze und schnappte nach Luft. Aus seinem Mündchen lief ein schmales
Rinnsal und tröpfelte über das Kinn auf den Boden. Ich drückte ein wenig Wasser aus meinem patschnassen Hemd und verließ den ehemaligen Strickwarenladen der alten Frau
Chalupa.

DER VERLORENE LEBERFLECK
    Die Sache mit meiner Karriere ging also voran. Aber es gab da etwas anderes, was mir Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereitete: Ich war schon siebzehn und hatte noch
nie gevögelt.
    Meine einzigen intimen Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht waren die Geschehnisse mit Trixie in der Hecke und mit Tinka in der Turnhalle. Das war ausbaufähig. Seit dem Moment, in dem
mir Trixie im grünen Halbdunkel eine Schleife um den Pimmel gebunden hatte, wühlte eine unbestimmte Sehnsucht in mir, die erst mit dem Sprießen der ersten Schamhaare eine erkennbare
Richtung bekommen hatte: Ich wollte mich in eines dieser geheimnisvollen Geschöpfe namens Mädchen vergraben!
    Manchmal trieb ich mich in der Innenstadt herum. Das heißt, ich lief ziellos durch die Straßen, flanierte über die Fußgängerzone, schlenderte durch die winzige
Einkaufspassage oder lehnte möglichst lässig an einer Ecke. Ich tat desinteressiert oder gedankenvoll, hielt aber in Wahrheit Ausschau nach Bräuten.
    Und es gab ja auch genug davon. Alleine, zu zweit oder in kleinen Grüppchen kamen sie vorbeigestöckelt, rauchten, kicherten, warfen ihr Haar zurück und strichen sich mit schlanken
Fingern die Rockfalten aus. Zum Platzen enge T-Shirts, ellenlange Wimpern, rosarote Münder, aus denen dünne Zigaretten ragten, leise klimpernde Plastikkettchen, glitzernde Röcke,
leuchtende Zehennägel und über allem eine süßlich wabernde Duftwolke aus Parfum, Zigarettenqualm, Haarspray und die Ahnung eines ganz spezifischen, etwas scharfen Geruchs, den
ich damals noch nicht so recht einzuordnen wusste.
    Ich stand jedenfalls da, sah die ganze schreckliche Herrlichkeit an mir vorbeiwogen und konnte nichts damit anfangen. Ich war wie ein halbstarker Löwe, der ausgehungert und dumm in der
Steppe herumlungert und mit sabbernden Lefzen einer ewig vorbeiziehenden Gnuherde hinterherstarrt. Ich traute mich einfach nicht, eines dieser Mädchen anzusprechen. Entweder waren sie zu
schön, zu unnahbar, zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, oder sie waren von einer hysterisch kichernden Freundinnenmeute umringt, die bereit schien, eines ihrer Mitglieder
unter allen Umständen mit geschliffenen Klauen und gespitzten Kajal-Stiften zu verteidigen.
    Doch eines Tages geschah das Unerwartete. Ein Mädchen sprach mich an. Ich drückte mich gerade vor der Auslage eines Herrenschuhladens herum, als sie plötzlich vor mir stand: Ein
Wunder. Ein Traum. Ein Engel, in dessen brünettem Haar sich die nachmittäglichen Sonnenstrahlen verfingen. Säulenhohe Plateauschuhe, eine hautenge, knallrote Schlaghose, ein
über dem Bauchnabel lose zusammengeknotetes Blüschen, Schwanenhals, blaue Augen, hohe Stirn und so weiter. Auf der zarten Wölbung ihrer Oberlippe balancierte ein hellbrauner
Leberfleck wie ein winziger Bergsteiger auf einem Gipfelgrat.
    »Hast du mal Feuer?«, fragte sie, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und

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