Jetzt wirds ernst
klebte die Gattin und verteilte nach irgendwelchen geheimen Codes entweder ein gefrorenes Lächeln, ein
schrilles Auflachen oder ein herablassendes Nicken in die Runde. Überhaupt wurde viel gelächelt, gelacht und genickt. Obwohl eigentlich keiner den anderen leiden konnte, strahlten alle
vor aufgekratzter Feststimmung.
Die Damen hatten sich aufgetakelt, herausgeputzt und angemalt, dass es einem die Augen ausschlug vor lauter Farbintensität. Die Dekolletés schienen förmlich überzuquellen,
überall wogte und wabbelte es, gewaltige, alle Körbchengrößen sprengende Titten, die nur noch von ausladenden Drahtgestellen einigermaßen in Form gehalten werden konnten.
Um die faltigen Hälse, an den fein behaarten Ohren und den wurstdicken Fingern hingen oder steckten protzige Plastikklunker aller Farben, Formen und Größen. Die Doppel- und
Dreifachkinne schwabbelten wie Truthahnkröpfe, von den Oberarmen baumelte die Haut wie nasse Wäsche an der Leine und unter den Strümpfen schimmerten bläulich und geheimnisvoll
die Krampfadern hervor. Der ganze Raum war von einem beißenden Geruch nach Parfum und Altweiberschweiß erfüllt. Gärung und Fäulnis. Ein letztes gieriges Aufflackern der
weiblichen Hitze.
Daneben standen die Männer. Egal, wie groß sie waren, sie wirkten immer kleiner als ihre Frauen. Die meisten trugen Schwarz oder Grau, nur ein offensichtlich ziemlich verwirrter
Sozialist hatte seinen versulzten Körper in einen weinroten Samtanzug gezwängt. Der ganze Haufen drängelte sich in dem engen Foyer zusammen und suhlte sich in der eigenen
Wichtigkeit. Glänzend aufpolierte Glatzen. Schweißnasse Stiernacken. Pralle, in hautenge Polyesterhemden gezwängte Bierbäuche. Dunkelviolett pulsierende Säufernasen.
Blutunterlaufene Triefaugen. Von jahrzehntelangen Demütigungen tief gebeugte Bürorücken.
An einem Tischchen hatte sich eine kleine Hermann-Conradi-Abteilung zusammengefunden. Direktor Priem saß mit hochrotem Kopf in der Mitte und zischelte in das linke Ohr der
Geografie-Aushilfslehrerin Gerda Gräblich hinein. Daneben ließ der magenkranke Mathematiklehrer Bortz seine trüben Blicke durchs Foyer und über die Ausschnitte der Damen
schweifen. Und natürlich war auch Frau Gorac gekommen. Gleich beim Eintreten war sie auf mich zugestürmt, hatte mir mit feuchten Augen alles Gute gewünscht und mir ihre kurzen Arme
um den Hals geschlungen. Sie trug ein violettes Blümchenkleid, roch nach Veilchen und Kaffee und sah unglücklich aus.
In einer Ecke standen Vater, Max und Lotte. Lotte sah einfach großartig aus in ihrem weißen Rüschenkleidchen, obwohl sie offensichtlich ein paar Kilo zugelegt hatte in den
letzten Monaten. Max stand dicht neben ihr, seine rechte Hand schien an ihrem Hintern festzukleben, und er strahlte vor Stolz. Vater hatte ein Glas Mineralwasser in der Hand und schielte ein wenig
verloren in der Gegend herum. Da ich seinen schwarzen Anzug praktisch schon als vorgezogenes Erbteil übernommen hatte, trug er eine fusselige Stoffhose und einen dunkelgrünen
Rollkragenpullover, was ihm das Aussehen eines etwas verwahrlosten Genies gab.
Dann das erste Zeichen. Die Leute strömten in den Zuschauerraum und verteilten sich je nach Wichtigkeit auf die Sitzplätze. In der ersten Reihe saßen der Bürgermeister und
seine nach dem vierten Sektglas schon etwas schwerfällig gewordene Gattin. Daneben die restliche Rathaustruppe sowie auf den beiden Außenplätzen, und damit in
größtmöglichem Abstand voneinander, die tödlich verfeindeten Redakteure des städtischen Tagblattes und der landwirtschaftlichen Wochenschrift. In den Reihen dahinter
drängelte und rempelte sich der Großteil des Publikums um die besten Plätze. Ganz hinten, in den beiden letzten Reihen, saßen die Vertreter der Basisgesellschaft: die Rentner,
Straßenbahnschaffner, Kanzleigehilfen, Filialleiterstellvertreter, das kleine und ernste Grüppchen der echten Theaterliebhaber sowie Vater, Lotte und Max.
Jetzt das zweite Zeichen. Sofort wurde das Tuscheln, Kichern und Durcheinanderplappern dringlicher. Dazwischen ein lautes Auflachen. Ein ungeduldiges Zischen. Ein heiserer Hustenanfall. Ich
schloss die Tür und verzog mich hinter die Bühne. In der Seitengasse warteten schon Janos und Irina.
»Wie geht es dir?«, fragte Janos.
»Ganz gut!«, wollte ich sagen. »Sehr gut sogar, großartig, alles bestens, wir können loslegen!« Möglichst locker und lässig wollte ich das sagen.
Locker, lässig und
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