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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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voller bescheidenem Selbstbewusstsein. Doch stattdessen sagte ich gar nichts. Ein fetter, heißer Kloß saß mir im Hals und verhinderte jedes Wort.
Außerdem begann genau in diesem Moment mein Unterkiefer heftig zu bibbern.
    Janos kam einen Schritt auf mich zu, legte beide Arme auf meine Schultern und blickte mir in die Augen.
    »Dein Apfelbaum war gut heute Morgen«, sagte er. »Und von einem Baum zu einem Philosophen sind es im Grunde genommen nur ein paar Gedankenhüpfer!«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. Trotzdem nickte ich und versuchte, das Kinnbibbern unter Kontrolle zu bringen.
    Plötzlich war er ganz nah bei mir. Gesicht an Gesicht. Ich konnte den Puder an seiner Stirn riechen.
    »Neunzig Prozent des Premierenpublikums sind Dummköpfe«, sagte er leise. »Das entspricht ziemlich genau dem Prozentsatz in der Welt da draußen. Aber für den
Rest, für die übrigen zehn Prozent, für die, die nur ein bisschen was im Hirn haben oder im Herzen – für die lohnt sich das alles!«
    In seinen Augen konnte ich mich selbst gespiegelt sehen wie in den Ausbuchtungen eines gläsernen Bierkruges. Dahinter, aus der Tiefe seiner Pupillen, tauchte jetzt wieder dieses kleine,
helle Flackern auf.
    »Du gehst heute Abend da raus und gibst dein Bestes. Alles andere ist die Sache nicht wert. Zeig ihnen, was du kannst! Zeig ihnen auch, was du nicht kannst, aber lass es gut aussehen! Lass
sie dein Herz sehen. Lass sie deinen Atem spüren. Lass sie deine Stimme hören. Und wenn du dir vor Angst in die Hosen scheißt, lass sie es riechen!«
    Ich nickte und sah, wie das kleine Flackern wieder auf den Augengrund zurücksank. Wir umarmten uns, schlugen uns männlich und geräuschvoll auf den Rücken und spuckten uns
dreimal über die linke Schulter. Nun war Irina dran. Sie trat auf mich zu und legte mir mit einem leisen Lächeln eine Hand an die Herzgegend und die andere mitten ins Gesicht. Ich schloss
die Augen und spürte, wie unten die Fingerspitzen wie kleine weiche Pfoten über meine Brust trippelten und wie sie sich oben am Haaransatz entlangtasteten. Plötzlich drückte sie
mich an sich, mit einer Kraft, die ich ihrem zarten Körper gar nicht zugetraut hätte.
    »Mach gut, Kleiner!«, sagte sie. »Toi, toi, toi!«
    Ich gab das dritte Zeichen, dimmte das Licht im Zuschauerraum runter, zog den Vorhang auf und sah, wie Janos loslegte.
    Die Zeit bis zu meinem Auftritt verbrachte ich in der Garderobe. Ein paar Minuten lauschte ich zu den kleinen Lautsprecherboxen hoch, die direkt unter der Decke angebracht
waren und aus denen Janos’ und Irinas Stimmen leise knisternd herausquäkten. Es schien alles normal zu laufen. Ich wickelte mich in meine Toga, schlüpfte in die Sandalen, setzte
mich vor den Spiegel und schmierte mir ein bisschen Schminke ins Gesicht. Eine angstverzerrte Fratze blickte mir entgegen, käseweiß, mit blauschwarzen Hängeringen unter den Augen.
Zur bibbernden Kinnlade hatte sich inzwischen ein allgemeines Zittern und Schlottern gesellt. Mir war kotzübel. Ich wünschte mich weit weg. In mein Zimmer. Nach Spanien. Auf den Acker.
Irgendwohin. Nur nicht in einem grell ausgeleuchteten Kellerloch vor den Augen eines geifernden Premierenpublikums elendiglich verrecken müssen.
    Ich stand mit wackeligen Knien auf und machte mich auf den Weg zur Bühne, auf den dunklen, engen Gang zur Hinrichtung.
    In der Seitengasse wartete ich mein Stichwort ab. Unter der Toga galoppierte mein Herz. Längst schon hatte sich auf meinem Rücken ein schmieriger Schweißfilm gebildet. Die Luft
wurde mir knapp in der stickigen Dunkelheit. Schließlich war es soweit.
    »Verdammte Scheiße, der Teufel ist kein Philosoph«, schrie Irina wütend. »Er ist Theologe!«
    Mein Stichwort.
    Ich holte tief Luft, quetschte ein paar aufkommende Tränen zurück in ihre Drüsen und betrat die Bühne.
    »Unsinn!«, sagte ich. »Er ist einfach nur der Teufel und sonst nichts. Der Herr der Fliegen, und obendrein ein Dummkopf!«
    Da stand ich. Und es war still im Raum. Ich konnte die Blicke des Publikums auf mir spüren. Eine Hitze auf meinem Körper. Auf dem Gesicht. In den Eingeweiden.
    »Aha«, sagte Janos mit belegter Stimme und musterte mich misstrauisch, »und wer bist du, wenn man mal fragen darf?«
    »Platon!«, antwortete ich. Und ab diesem Moment geschah das Unglaubliche. In einem einzigen Augenblick verdampfte meine Angst gemeinsam mit dem Schweißfilm auf meinem
Rücken. Ich fühlte mich trocken, leicht und frei. Das

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