Jetzt wirds ernst
hoffnungsfrohe, aber auch ein wenig verklärte Blick schien sich in den fernen Weiten einer ungewissen Zukunft
zu verlieren. In die Geborgenheit ihrer Arme schmiegte sich das Kätzchen, ein hilfloses Wollknäuel mit riesigen, himmelblauen Katzenbabyaugen.
Darunter stand in dicken Lettern der Titel: IM KÄFIG DER LIEBE – Eine abenteuerliche Romanze . Der Text überschlug sich förmlich vor vorauseilender Begeisterung: Im Käfig der Liebe erzählt die herzzerreißende Geschichte der jungen Zoologin Claire, die ihr eigenes Leben aufopfernd dem Wohl ihrer geliebten Tiere widmet. Als Claire eines
Tages den engagierten Tierarzt Jean kennenlernt, verändert sich ihr Leben schlagartig. Die beiden so unterschiedlichen Charaktere prallen aufeinander – auf der einen Seite die
temperamentvolle Claire, auf der anderen der verschlossene und von einem dunklen Geheimnis umwehte Jean. Doch eines verbindet die beiden jungen Menschen: ihre unbedingte Liebe zu den Tieren. Als
der aalglatte Pharmareferent Ingo auftaucht, um dubiose Geschäfte für seinen Konzern abzuwickeln, kämpfen Claire und Jean von nun an gemeinsam gegen die scheinbare Übermacht. Es
geht um Eifersucht, Gier, grausame Laborversuche, um gefährdete Arten, ein schwerkrankes Kätzchen und nicht zuletzt um die Liebe – die Liebe zwischen Menschen und Tieren. Im
Käfig der Liebe bietet beste Samstagabendunterhaltung mit beliebten Stars wie …«
Es folgten die Namen der Hauptdarsteller und der Sendeplatz mit genauem Datum und Uhrzeit: kommender Samstag. Hauptabendprogramm.
Obwohl mein Name nirgends erwähnt wurde, sprach sich die Sache schnell herum. Ich wurde auf der Straße erkannt. Angestarrt. Angehalten. Angesprochen. Man werde sich
das ansehen. Selbstverständlich werde man sich den Film ansehen! Wenn schon einmal jemand aus unserer Stadt im Fernsehen auftritt! Noch dazu Hauptabendprogramm! Mit Tieren und Liebe und allem
Drum und Dran! Alle Achtung! Und so weiter.
Zwei ehemalige Mitschüler, riesige Kerle mit langen Haaren, die in fettigen Strähnen über die Kragen ihrer schwarzen Lederjacken hingen, stellten sich mir in den Weg und wollten
ein Autogramm. Meinen Einwand, der Film werde doch erst laufen und außerdem sei meine Rolle ja nicht gerade die anspruchsvollste, ließen sie nicht gelten. Auf Anspruch, erklärten
sie finster, werde sowieso geschissen, und ich solle doch jetzt bitteschön schleunigst mit dem Autogramm herausrücken, da es ansonsten gleich jetzt und hier ein paar saftige Tritte in
meinen kleinen Schauspielerarsch setze.
Im Friseursalon herrschte kurzfristig wieder reger Verkehr. Vater musste sein altes Terminbüchlein hervorkramen, um den Ansturm unter Kontrolle zu kriegen. Schnell waren die Seiten
vollgeschrieben. Andauernd klingelte das Telefon. Man bat um einen Termin, unbedingt und unter allen Umständen brauchte man sehr schnell einen Termin. Man wollte einen neuen Haarschnitt, eine
frechere Haarfarbe oder zumindest eine Auffrischung der alten Façon. Vor allem aber wollte man vor den anderen drankommen. Und während man sich vom Vater des jungen Nachwuchstalents die
Haare waschen, legen, schneiden, ondulieren oder effilieren ließ, bemühte man sich, mit möglichst beiläufigen Fragen etwas mehr über die Film- und Fernsehbranche im
Allgemeinen und über meine Karrierepläne im Besonderen in Erfahrung zu bringen. Vater blieb höflich, hielt sich im Großen und Ganzen jedoch bedeckt. Er nickte viel,
lächelte freundlich, gab ein paar nichtssagende und eben gerade deshalb vielsagende Antworten und kümmerte sich ansonsten ausschließlich um die Kopfoberflächen der Kunden.
Meine plötzliche Berühmtheit hatte noch einen anderen, nicht unangenehmen Nebeneffekt: Mädchen begannen mich zu bemerken. Bräute, die mich bislang höchstens als
zweibeinige Kuriosität betrachtet hatten, zeigten auf einmal Interesse. Überall schienen sie plötzlich aufzutauchen, an Straßenecken, vor Ladeneingängen, vor dem Salon,
alleine, zu zweit, in Grüppchen. Da standen sie, kicherten, tuschelten, schlenkerten mit ihren Handtaschen, klimperten mit den Ohrringen, quetschten sich ihre Brüste zurecht, neigten die
Köpfe und strichen sich dabei mit sanften Fingern über die Nacken. Mein Wert war schlagartig gestiegen auf dem Markt der Zwischenmenschlichkeit. Ich war allerdings zu schüchtern oder
zu blöde, um diesen unerwarteten Aufschwung zu nutzen und mein Kapital in greifbare Werte umzumünzen. Ich ging mit gesenktem Blick
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