JFK -Staatsstreich in Amerika
und angab, einen Mann in beiger Jacke und
schwarzer Hose gesehen zu haben, der am Pfad den Kanal entlang hinter einer
blonden Frau hergelaufen sei. Mit diesem zweiten Zeugen sahen sich die Ankläger
auf der sicheren Seite, doch beide waren zu weit vom Tatort entfernt, um den
Angeklagten genauer identifizieren zu können, und dank seiner couragierten
Anwältin Dovey Roundtree, auch wegen fehlender weiterer Indizien und weil es
überhaupt kein Motiv gab, sprach die Jury Ray Crump frei.
Der Zeuge Mitchell war damals schon
der Anwältin suspekt vorgekommen, weil sie mehrfach versucht hatte, ihn vor dem
Verfahren zu erreichen, und keiner ihrer Anrufe beantwortet wurde. Warum das so
war, fand erst Leo Damore heraus, als er sich ein Vierteljahrhundert später auf
die Spur dieses Zeugen machte. Es gab 1964 überhaupt keinen Leutnant William L.
Mitchell im Pentagon oder beim US-Militär, und unter der Privatadresse, die der
ominöse Mitchell angegeben hatte, hatte zwar ein Mieter dieses Namens gewohnt,
doch das betreffende Appartement fungierte, wie Damore 1992 herausfand, als
»CIA safehouse« – eine Deckadresse des Geheimdiensts. Daraufhin wandte sich
Damore an Oberst L. Fletcher Prouty, der während Kennedys Amtszeit als
Verbindungsoffizier des Pentagon zur CIA für das Netzwerk von verdeckten
Agenten zuständig gewesen war, das rund um die Erde paramilitärische Operationen
durchführte. Nachdem ihm 1964 die Verwicklungen dieses geheimen Netzwerks in
Kennedys Ermordung aufgefallen waren, hatte Prouty den Dienst quittiert und in
der Folge zwei Bücher über die geheime Geschichte des Kalten Kriegs
geschrieben, die zu Standardwerken wurden. 53 In Oliver Stones Film JFK ist Prouty das Vorbild für die Figur »X«, die
von Donald Sutherland gespielt wird.
Was Leo Damore 1992 von dem Insider
Fletcher Prouty erfuhr, ist nicht genau bekannt. Seine Suche nach dem
merkwürdigen Zeugen des Mords an Mary Meyer schien in einer Sackgasse zu
stecken. In einem letzten verzweifelten Versuch verfasste Damore Ende 1992
einen Brief mit seinen gesammelten Informationen – und schickte ihn an die
CIA-Deckadresse Mitchells. Auch der Inhalt dieses Briefs ist nicht bekannt, er
muss jedoch brisant und motivierend genug gewesen sein, um eine Reaktion zu
provozieren. Denn am Abend des 30. März 1993 klingelte Damores Telefon, und der
Anrufer stellte sich als »William Mitchell« vor. Die beiden telefonierten vier
Stunden miteinander. Am kommenden Morgen rief Damore bei seinem Anwalt und
guten Freund James H. Smith an – ehedem auch ein enger Vertrauter Robert F.
Kennedys – und erstattete diesem über das Telefonat mit »Mitchell« und seine
sonstigen in letzter Zeit gewonnenen Erkenntnisse Bericht. Die sechs Seiten von
Smiths Notizen über Damores Bericht hat Peter Janney seinem Buch als Appendix
angefügt. Danach war der Mord an Mary Meyer eine »CIA-Operation«, an der »Mitchell«
beteiligt war und für die man Ray Crump, der dort am Kanal häufig fischte und
sich heimlich mit seiner Geliebten traf, als Sündenbock inszeniert hatte.
»Mitchell«, so Damore zu seinem Anwalt, sei ein früherer FBI-Mann, der für die
CIA im Inland Aufträge durchgeführt habe. Mary Meyer sei schon längere Zeit von
einem »Beobachtungsteam« beschattet worden. Nachdem sie am 24. September ein
Exemplar des Warren-Reports erhalten hatte, sei sie angesichts des Ausmaßes der
Vertuschung »an die Decke gegangen« und habe ihren Exmann damit konfrontiert,
der darüber sofort seinen engen Freund und Nachbarn, den CIA-Gegenspionage-Chef
James Angleton, informiert habe. Ob Mary danach auch noch eine direkte
Auseinandersetzung mit Angleton gehabt habe – dessen Frau zu ihren Freundinnen
zählte –, sei unklar. »Doch es ist nahezu sicher«, schreibt Peter Janney in
seiner Zusammenfassung, »dass den beiden Männern, die Mary so gut kannten, klar
war, dass sie nicht zu der Art von Menschen gehörte, die darüber Stillschweigen
bewahren.« 54
Obwohl Leo Damore gegenüber seinem
Anwalt und einige Tage später gegenüber seinem Assistenten Mark O’Blazney
euphorisch und sicher war, »den Fall gelöst zu haben«, ist sein Buch, für das
er jahrelang hartnäckig recherchiert hatte, nie erschienen. Er musste sich
einen schweren Hirntumor diagnostizieren lassen und nahm sich zwei Jahre nach
diesem Telefonat das Leben, nachdem er 1995 die Besprechung des
autobiographischen Buchs A Good Life von Ben Bradlee – dem ehemaligen
Chef der Washington Post , Kennedy-Freund und
Weitere Kostenlose Bücher