Jhereg
jederzeit.«
»Wohlan. Meine Sekundanten werden Euch im Morgengrauen aufsuchen.«
Ich tat überrascht.
»Tatsächlich?« meinte ich. »Meine Sekundanten werden Euch in der Gosse verspotten.«
Damit wandte ich mich um und ließ ihn stehen.
»Was?!« erscholl ein wütendes Gebrüll hinter mir. Nach drei Schritten hörte ich das Geräusch von Stahl, der aus der Scheide gezogen wurde. Ich lief forsch weiter.
»Jetzt, Loiosh!«
»Bin unterwegs, Boß.«
Ich spürte, wie mein Jhereg von meiner Schulter abhob, während ich mich weiter gemessen und stetig von dem Hawklord entfernte. Das war der Zeitpunkt, wo ich all die Fähigkeiten brauchen würde, die Kiera mir vor Jahren beigebracht hatte.
Hinter mir hörte ich einen Schrei und diverse Rufe wie »Es hat mich gebissen!« und »Hilfe!« und »Holt einen Heiler!« und »Wo ist der verfluchte Jhereg?« und »Seht doch, er stirbt!«
Um mich würde sich keiner kümmern, das wußte ich, als ich auf Mellar zuging. Mir fiel auf, daß seine Leibwächter nicht besonders auf der Hut waren, obwohl gerade sie vor allen anderen die Ablenkung auch als solche erkannt haben mußten.
Mellars Gesicht strahlte Ruhe aus. Das erfüllte mich kurzfristig mit Bewunderung. Er hatte das hier erwartet. Hier und jetzt wollte er sterben, darauf hatte er sich vorbereitet. Auch seine Leibwächter wußten das, und sie machten keine Anstalten, es abzuwenden. Hätte ich so dastehen können und darauf warten, daß man mir einen Dolch, vielleicht sogar Morganti, in den Rücken stößt? Auf keinen Fall.
Ich mußte grinsen. Er würde nämlich gleich sein blaues Wunder erleben. Ich näherte mich ihm weiter. Ich nahm jeden einzelnen in der Menge um mich wahr, während ich in sie eintauchte, doch keiner von ihnen bemerkte mich. Allem Anschein nach war ich wie beabsichtigt verschwunden. Die Kunst des Attentäters. In jenem Augenblick brauchte man schon außergewöhnliche Fähigkeiten, um mich zu entdecken – Fähigkeiten, die auch die der Leibwächter überstiegen, da war ich mir sicher.
Mellar wartete völlig reglos auf die Berührung einer Klinge. Er hatte mit einem jungen Tsalmothmädel geflirtet, das eine dümmliche Tecklajungfrau gespielt hatte, und er hatte so getan, als würde er das glauben. Jetzt sah sie ihn neugierig an, weil er zu sprechen aufgehört hatte.
Und erstaunlicherweise begann er wahrhaftig zu lächeln. Seine Lippen kräuselten sich ganz leicht zu einem ganz dünnen Lächeln.
»Jetzt, Aliera!«
»Ich komme!«
Möge Verra deine Seele beschützen, Lady, die du einst meine Schwester warst …
Mellar wich das Lächeln aus dem Gesicht, als eine schrille, betrunkene Stimme durch den Saal drang.
»Wo ist er?« schrie Aliera. »Zeigt mir den Teckla, der den Namen meines Cousins in den Schmutz ziehen will!«
Vor Aliera bildete sich eine Gasse. Ich konnte kurz die Totenbeschwörerin sehen, in deren Gesicht der Schock geschrieben stand. Es ist selten, sie verblüfft zu sehen. Wahrscheinlich hätte sie im Normalfall etwas unternommen, aber sie war einfach zu weit weg.
Apropos zu weit weg …
»Loiosh?«
»Ich hob hier zu tun, verdammt! Die lassen mich nicht weg! Ich versuch, rüberzukommen, aber –«
»Vergiß es. Wie besprochen. Das können wir einfach nicht riskieren. Bleib, wo du bist.«
»Aber –«
»Nein.«
Gleichzeitig mit Aliera kam ich näher – sie ganz offen, ich im Verborgenen. Klar.
»Viel Glück, Boß!«
Als ich meine Position einnahm, fiel mir eine plötzliche Spannung in Mellars Nacken auf. Er mußte den blanken Dolch in Alieras Hand als Morganti erkannt haben. Mit Sicherheit hatte der ganze Saal das gesehen.
Dann stand ich in Position und konnte jedes Wort hören, das er sagte. Ich hörte ihn verstohlen fluchen. »Nicht sie, verdammt!« zischte er seinen Leibwächtern zu. »Haltet sie auf!«
Beide taten einen Schritt vor, um ihr den Weg zu versperren, doch sie war schneller. Ein grünes, funkelndes Licht blitzte aus ihrer erhobenen linken Hand. Dann konnte ich etwas sehen, von dem ich bisher nur gehört, was ich aber noch nie selbst gesehen hatte. Die Energie, die sie auf sie geschleudert hatte, teilte sich; gabelte sich in zwei Blitze, die den Leibwächtern direkt in die Brust fuhren. Sie wurden zurückgeworfen und fielen dumpf zu Boden. Wenn wir ihnen Zeit zum Nachdenken gelassen hätten, wäre ihnen gewiß aufgefallen, daß Aliera nicht sehr betrunken sein konnte, sonst hätte sie einen solchen Zauber nicht zustande gebracht. Beide waren gut genug, die
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