Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
den Wellen, leicht vom Wind dahingetrieben und in seltsamen, immer wechselnden Figuren auf und ab webend.
»Guten Tag!«, sagte plötzlich ein zartes Stimmchen, das sich anhörte wie ein zärtliches Wellengeplätscher, »oder vielmehr ›Gute Nacht‹, das passt im Augenblick wohl besser.«
Lukas und Jim blickten verwundert umher, konnten aber niemand entdecken. Deshalb fragte Lukas:
»Wer ist denn da? Wir können gar niemand sehen.«
»Aber hier bin ich doch«, rief das Stimmchen ganz nahe, »schaut her, ich winke euch mit der Hand.«
Die beiden Freunde strengten ihre Augen an und suchten mit ihren Blicken aufmerksam das Wasser ab. Plötzlich sah Jim eine kleine Hand aus den Wellen winken und zeigte Lukas die Stelle. Und nun sahen sie beide ganz deutlich ein zierliches kleines Mädchen, ungefähr so groß wie Jims Arm. Es hatte ein hübsches Gesicht, nur waren die Augen ein bisschen allzu groß, der Mund ein bisschen allzu breit und das Näschen ein bisschen allzu aufgestülpt, was ihr einen etwas fischähnlichen Ausdruck verlieh. Ihre silbernen Haare standen grasartig vom Kopf ab und überdies hatte das kleine Geschöpf von der Hüfte abwärts einen Fischschwanz. Das Sonderbarste aber war, dass diese Seejungfrau (denn dass es sich um eine solche handelte, war den beiden Reisenden sofort klar) beinahe ganz durchsichtig war. Ihr Körperchen sah aus, als wäre es ganz und gar aus grüner Götterspeise. Darum war sie vom Wasser nur sehr schwer zu unterscheiden.
»Gute Nacht«, sagte Lukas freundlich, »was haben Sie da für einen reizenden Fischschwanz, kleine Dame?«
»Gefällt er Ihnen?«, fragte die Seejungfrau geschmeichelt.
»Und ob!«, antwortete Lukas höflich. »Es ist wahrhaftig der hübscheste Fischschwanz, den ich je bei einem jungen Fräulein gesehen habe.«
Die Seejungfrau ließ ein helles, plätscherndes Lachen hören, das genauso klang wie das Gluckern der kleinen Wellen am Strand von Lummerland. Dann erkundigte sie sich neugierig:
»Wo fahrt ihr denn hin, wenn man fragen darf? Seid ihr vielleicht zwei arme Schiffbrüchige?«
»O nein, kleine Dame«, erwiderte Lukas schmunzelnd, »wir machen eine große Reise nach Mandala und noch weiter.«
»Ach so«, sagte die Seejungfrau, »aber was habt ihr denn da für ein sonderbares Schiff, wenn man fragen darf?«
»Dieses Schiff hier«, gab Lukas zurück und paffte kleine Wölkchen, »heißt Emma und ist eigentlich gar kein Schiff.«
»Und das kleine Schiff, das hinter uns herschwimmt«, fügte Jim hinzu, »heißt Molly und is' eigentlich auch kein Schiff.«
»Das verstehe ich leider nicht«, antwortete die Seejungfrau etwas verwirrt, »was sind denn das für Schiffe, die eigentlich gar keine Schiffe sind? Dergleichen habe ich noch nie gesehen.«
»Diese Schiffe, die eigentlich gar keine Schiffe sind«, erklärte Lukas und zwinkerte Jim zu, »sind nämlich Lokomotiven.«
»Ach so«, sagte die Seejungfrau, »es sind Volomo ... es sind Molovi ... Wie habt ihr eben gesagt?«
»Lokomotiven!«, wiederholte Jim.
»Ja, bitte«, erkundigte sich die Seejungfrau und kam neugierig noch etwas näher, »was ist denn aber eine Tolomokive, wenn man fragen darf?«
»Sie dürfen durchaus fragen, kleine Dame«, versicherte Lukas freundlich, »also, eine Lokomotive ist etwas, das Räder hat und auf dem Land herumfährt, und zwar mit Dampf und Feuer, verstehen Sie?«
»O ja«, meinte die Seejungfrau erfreut, »also ist so eine Mikolo ... Ich meine, eine Votikolodingsda so eine Art Dampfschiff, nur eben fürs Trockene?«
»Nicht übel«, gab Lukas zu und paffte belustigt, »so könnte man schon sagen. Sie sind ja ganz außerordentlich gescheit, kleine Dame.«
Das Meermädchen lachte wieder geschmeichelt und sagte dann: »Also ist dieses Schiff, das eigentlich gar kein Schiff ist, doch eine Art Schiff!«
Und sie freute sich und klatschte in die Hände. Die Meerbewohner sehen die Welt nämlich ein bisschen einseitig, gewissermaßen nur vom Wasserstandpunkt aus. Es beunruhigt sie sehr, wenn irgendetwas sich nicht von diesem Wasserstandpunkt aus verstehen lässt. Aber wenn es ihnen dann zuletzt doch gelingt, das, was ihnen unverständlich ist, sozusagen zu verwässern, dann sind sie für gewöhnlich sehr erleichtert. Man darf ihnen das nicht übel nehmen, denn sie sind im Übrigen sehr nette Leute. Und außerdem machen es viele Menschen auf ihre Weise ebenso. »Und wer seid ihr beide?«, fragte die Seejungfrau neugierig weiter.
»Ich bin Lukas der
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