Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
in Gegenwart seiner beiden Herren redete. Aber in ihrer großen Sorge wusste sie sich keinen anderen Rat und ging trotzdem hinein.
Ehrfürchtig näherte sie sich dem riesenhaften »Goldenen Drachen der Weisheit« und legte den Zettel vor ihn hin. Dann trat sie zurück, und weil sie nicht zu sprechen wagte, machte sie mit klopfendem Herzen einen tiefen Knicks und verharrte lange so, das Gesicht fast bis zum Boden geneigt. Der Drache regte sich nicht.
»Bitte«, dachte Li Si, »bitte, sag mir, ob ihnen etwas geschieht.« Und ihre Lippen formten unhörbar das einzige Wort: Jim!
»Sei getrost, kleine Königin von Jamballa!«, sagte plötzlich eine sanfte Stimme. Li Si blickte auf. War es der Drache, der zu ihr gesprochen hatte? Er saß noch immer reglos auf seine Vordertatzen gestützt und seine Augen blickten über die Prinzessin hinweg wie in weite Fernen. Niemand sonst war anwesend, also konnte nur er es gewesen sein.
»Danke!«, hauchte Li Si und verbeugte sich noch einmal tief. »Danke, ›Goldener Drache der Weisheit‹.«
Und dann lief sie hinaus und zu ihrem Vater, der auf der Terrasse des Palastes saß, und erzählte ihm alles.
»Der Himmel hat unsere edlen Freunde bis jetzt behütet«, sagte der Kaiser tief bewegt, »er wird sie nicht verlassen.«
Gegen Mittag kehrte Ping Pong mit der mandalanischen Flotte in den Hafen von Ping zurück. Der Kapitän des Staatsschiffes und seine Matrosen begrüßten voller Freude die geretteten Schiffbrüchigen und erzählten ihnen, was inzwischen geschehen war.
Der Abend sank schon herein, als das Schiff mit den blutroten Segeln mit fantastischer Geschwindigkeit durch den tobenden Orkan auf den großen Wasser-Wirbelsturm zufuhr. Wieder umkreisten die Piraten die riesige, von Blitzen durchzuckte Säule, bis sie die gleiche Geschwindigkeit hatten, ließen das Schiff in die Höhe reißen und landeten schließlich im windstillen »Auge des Sturms« vor ihrer Burg.
Jim und Lukas kletterten mit den Seeräubern von Bord und begleiteten sie bis in den großen Saal hinunter, wo die Falltür in das Verlies mit den zwölf grünspanbedeckten Kupfertüren führte.
»Hört zu«, wandte sich einer der Brüder an die beiden Freunde, »dort unten könnt ihr uns nicht helfen. Es ist besser, ihr geht auf das Schiff und macht alles zur Abfahrt fertig. Wenn wir heraufkommen, müssen wir sofort weg.«
»Wen« wir noch heraufkommen«, sagte ein anderer.
Einen Augenblick schwiegen alle. Dann meinte der erste Pirat: »Wenn nicht, dann müsst ihr eben allein sehen, wie ihr durchkommt.«
»In Ordnung«, sagte Jim.
»Aber wartet nicht zu lang«, setzte ein dritter Pirat hinzu, »uns könnt ihr dann nicht mehr retten. Seht wenigstens zu, dass ihr zwei es schafft.«
»Und das wollen wir dir noch sagen, Jim Knopf«, brummte der erste, »für alle Fälle und falls wir uns nicht Wiedersehen: Von jetzt an sind wir deine Freunde.«
Alle nickten Jim zu, dann öffneten sie die Falltür und stiegen nacheinander in das Verlies hinunter.
»Es wird Zeit, Jim«, sagte Lukas. »Komm!«
Als die beiden das Schiff erreicht hatten, befestigte Lukas an den Bremsklötzen, durch die der Schiffsrumpf auf der Gleitbahn festgehalten wurde, lange Schnüre und warf die Enden zu Jim hinauf, der auf dem Hinterdeck stand. Jim packte sie und hielt sie in der Hand, bereit, sofort zu ziehen, wenn es nötig wurde. Dann kam Lukas zu ihm hinauf. Sprechen konnten sie nicht miteinander wegen des fürchterlichen Orgeltons, den der Hurrikan verursachte. Also standen die beiden Freunde schweigend nebeneinander und warteten. Plötzlich war durch das Brausen des Wirbelsturms ein schauriges Brüllen aus der Tiefe zu vernehmen. Im gleichen Augenblick begann das ganze »Land, das nicht sein darf« zu beben und zu zittern. Das brüllende Getose kam näher und näher und zugleich sprangen da und dort aus den Höhlen und Löchern, die etwas tiefer lagen, Wasserfontänen empor. Immer höher stiegen die Wasser und quollen schäumend und in Sturzbächen an die Oberfläche. Jim kämpfte mit sich, ob er die Bremsblöcke lösen sollte, aber noch zögerte er. Und nun schoss plötzlich mit unvorstellbarer Macht ein donnernder Wasserfall aus dem Eingang, der in die Burg »Sturmauge« hinunterführte, und traf das Schiff mit solcher Gewalt, dass es sich zur Seite neigte und zu kippen drohte. Im weißen Gischt aber erkannten die beiden Freunde einen Knäuel von menschlichen Körpern. Mit Anspannung all seiner Kraft stemmte Lukas sich gegen die
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