Jinx und der magische Urwald (German Edition)
Rumsen zu hören.
»Da kommt irgendwas«, sagte Jinx.
»Hm«, machte Simon, ohne auf ihn zu achten. Er strich mit den Händen über den Baumstamm.
Das Rumsen wurde lauter – ein kleiner Rums, gefolgt von einem größeren.
Ta-rums, ta-rums.
»Irgendwas Großes, Schweres«, sagte Jinx.
»Wenn ich dich hochhebe, müsstest du den abgebrochenen Ast da oben zu fassen kriegen«, sagte Simon. »Wenn du oben am Baumhaus bist, kannst du das Seil an einem Ast festbinden, dann klettere ich rauf.«
»Es kommt näher«, sagte Jinx.
»Na, dann los, hoch mit dir, Junge, nicht rumtrödeln.« Simon reichte Jinx ein aufgerolltes Seil und formte mit den Händen einen Steigbügel. »Aua. Hättest du dir nicht erst den Schnee von den Stiefeln klopfen können?«
Jinx stand schwankend mit einem Fuß in Simons Händen. Das Seil hing über seiner Schulter. Er tastete nach dem abgebrochenen Ast, den Simon ihm gezeigt hatte. Seine Hände schlossen sich um die raue Rinde, und er versuchte sich hochzuziehen.
Das Rumsen wurde lauter.
»Stemm die Füße gegen den Stamm und lauf hoch«, sagte Simon.
Das tat Jinx. Er schaffte es bis nach oben und stützte sich mit einem Knie auf den Ast. Als er mit den Armen den Stamm umfasste, konnte er einen Fuß aufstellen …
Ta-rums, ta-rums.
Er stützte sich am Stamm ab und kletterte auf den Holzboden des Baumhauses.
Ta-rums.
»Du darfst das Seil jederzeit runterlassen«, sagte Simon barsch.
So schnell er konnte, band Jinx das Seil am Ast fest. Das Rumsen war jetzt so nah, dass er den Schnee auf dem Pfad knirschen hörte. Er warf das Seilende nach unten, doch es blieb an dem abgebrochenen Ast hängen.
RUMS .
Jinx schaffte es, das Seil zu lösen, und sah, wie es hinunterfiel. Dann straffte es sich …
RUMS ,
RUMS
– was es auch war, es war jetzt direkt unten am Baum.
Da tauchte Simons Kopf vor dem Baumhaus auf. Jinx sank vor Erleichterung in sich zusammen.
»Das … das kann doch nicht auf Bäume klettern, oder?«
»Kann es schon, wird es aber nicht«, sagte Simon. »Da hüpft sie, siehst du?«
Jinx spähte zwischen zwei dicken Ästen hindurch in die Dämmerung und sah schemenhaft etwas Tonnenförmiges ohne Beine hoppeln, das mit einem langen Stock auf den Boden schlug.
»Da ist eine Hexe im Butterfass unterwegs«, sagte Simon.
»Ach so«, sagte Jinx. Jetzt schämte er sich, dass er solche Angst gehabt hatte. »Du hast keine Angst vor Hexen, oder?«
»Nur ein Dummkopf würde keine Angst vor Hexen haben«, sagte Simon.
»Ich wusste gar nicht, dass es Baumhäuser gibt«, sagte Jinx. Er wunderte sich, dass die Bäume das zuließen.
»Teil eines uralten Vertrags.«
»Von so einem Vertrag hab ich noch nie gehört«, sagte Jinx. Die Bäume hatten dergleichen nie erwähnt.
»Die Bäume haben zugestimmt, dass die Menschen totes Holz für Feuer und zum Bauen nehmen und dass sie Baumhäuser errichten dürfen. Im Gegenzug haben wir zugestimmt, dass immer, wenn jemand einen Baum tötet, die Bäume ein Menschenleben nehmen dürfen.« Simon schüttelte den Kopf. »Ich habe nie verstanden, wozu das gut sein soll.«
»Die Bäume wollen keine Menschen umbringen«, sagte Jinx. »Aber sie haben Angst, dass es eines Tages zu viele Menschen gibt.«
Jinx konnte vor Kälte lange nicht einschlafen. Und am leisen Gemurmel von Simons Gedanken merkte er, dass auch der Zauberer noch wach war.
Simon verströmte das ungeduldig galoppierende Gefühl, bald etwas Neues zu vollbringen – und dieses Neue hatte, so glaubte Jinx, mit Magie zu tun. Er hatte dieses Gefühl bei Simon schon öfter wahrgenommen, wenn der an einem neuen Zauber arbeitete oder etwas ausprobierte, wovon die Hexen ihm erzählt hatten. Doch diesmal war die Erregung von einer seltsamen, runzligen Schicht schlechtem Gewissen umgeben.
Vielleicht kam das schlechte Gewissen daher, dass der Zauber an Sophie dachte, die so sehr gegen Magie war. Aber das erklärte nicht, wieso Simon wegen dieses bestimmten Zaubers ein schlechtes Gewissen hatte. Jinx konnte sich nicht erinnern, dass Simon überhaupt jemals ein schlechtes Gewissen gehabt hätte. Nicht wegen der Zauberei, nicht wegen Sophie und ihrer ablehnenden Haltung, nicht wegen Totenkopf Calvin, wegen gar nichts.
Es war schwer zu erraten, was Simon ein schlechtes Gewissen machen könnte, aber es müsste wohl etwas ziemlich Schlimmes sein.
Der Knochenmeister
F rüh am Nachmittag des nächsten Tages überquerten sie eine Brücke aus zwei Baumstämmen, die über einen Bach führte, und
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