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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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Sie hatte ihn richtig zitiert, Wort für Wort. Das war der Beweis, falls er ihn überhaupt noch brauchte. Doch er wusste auch so schon, was er sich da heute Morgen ins Haus geholt hatte. Er steckte das Buch ins Regal zurück. »Wir verriegeln das ganze Haus, doppelt und dreifach, drehen jeden Schlüssel um.«
    »Schon geschehen«, entgegnete Doyle, »in dem Moment, als sie über die Schwelle trat.«
    Dies mochte vielleicht der sicherste Ort in ganz England sein, und dennoch war er bei dem Wissen, das Annique mit sich herumtrug, nicht sicher genug. »Leblanc hat Leute und Geld. Er will sie tot. Wie soll er an sie rankommen?«
    Hawkers Messer verharrte. »Auf die altbewährte Weise… Heckenschützen.«
    Doyle bewegte sich das Regal entlang und prüfte die Titel. »Wir werden extra Wachen aufstellen. Und ein Auge auf die Nachbarschaft haben. Sie darf nicht ans Fenster gehen.«
    »Und was ist mit Brandstiftung? Oder Landminen im Garten. Kanonenbeschuss?«
    Kanonen. Er massierte sich den Nasenrücken. »Wie schwer ist es, in London an Kanonen zu kommen?«
    »Nicht einfach«, antwortete Doyle, »aber machbar.«
    »Artillerie durch die Haustür. Blausäure mit der nächsten Kaffeebohnenlieferung.« Das Messer verschwand in Hawkers Ärmel. Er hievte sich hoch und schritt über den Buchara-Teppich. »Kofferbombe über die Mauer. Kobras durch den Schornstein. Giftpfeile. Tunnel bis in den Keller. Bewaffnete Schläger an der Hintertür. Lieferung deines üblichen Geheimpakets.«
    Keiner war so einfallsreich wie unser Hawker. »Zum Glück kriegt man in England keine Kobras. Aber sprich trotzdem mit Ferguson über das Essen. Das wäre eine Möglichkeit.«
    »Ich weiß, wo man Kobras bekommt«, erwiderte Adrian.
    »Keine Frage.« Doyle zog ein Buch hervor. »Und hier ist unser alter Freund Montaigne. Warum suchen wir nach ihm?«
    »Ich brauche eine Belegstelle. Zu dem Mann in Delphi, der Eier unterscheiden konnte. Wo steht es?«
    »Oh Mann. Das ist eins, das ich kenne. Das Essay Über die Erfahrung . Ungefähr in der Mitte. Ich musste es mal in Eton abschreiben. Hab vergessen, womit ich mir diese besondere Strafe verdient hatte.«
    »Du suchst nach einem von Anniques schlauen Sprüchen?« Adrian hatte sich zum Fenster begeben und betrachtete intensiv die Meeks Street, wahrscheinlich um sich Tötungsarten auszudenken.
    »Nach einem von meinen.«
    »Hier ist es.« Doyle las vor: »›… Gleichwohl haben sich Menschen gefunden, namentlich einer zu Delphi, welche unter den Eiern so verschiedene Abzeichen bemerkten, dass sie niemals eins mit dem andern verwechselten. Und waren die Eier von verschiedenen Hühnern, so wussten sie zu bestimmen, welches Huhn dieses oder jenes Ei gelegt hatte.‹ Hast du den gemeint? Wieso interessiert dich französische Philosophie?«
    »Sie kennt diese Zeilen.«
    »Sie ist ja auch eine gebildete Frau. Ich nehme an – «
    »Ich habe drei Worte zitiert und sie den ganzen Rest. Dann habe ich mal irgendetwas über das Wetter gesagt, eine absolut unbekannte Passage von Tacitus, und sie kannte auch die Stelle. Ich wette, ich könnte jedes dieser Bücher aufschlagen, egal welche Seite, und sie würde alles zitieren können. Sie kennt sie auswendig. Wann hat sie das nur gemacht?«
    Doyle ließ die Seiten mit dem Daumen abblättern, schloss das Buch und legte es weg. »Kann sie eigentlich gar nicht. Du hast recht.«
    »Sie ist quer durch Europa hinter Armeen hergezogen. Wann ist sie zur Schule gegangen, hat sich auf den Hosenboden gesetzt und diese Bücher Wort für Wort gelernt?«
    »Das hat sie nie getan. Ich hätte es sehen müssen.« Doyle machte ein zerknirschtes Gesicht. »Sie hat so ein eidetisches Gedächtnis. Ich habe mal davon gehört, bin aber nie so einem Menschen begegnet.«
    Adrian schlug mit der flachen Hand an die Wand. »Karten. Sie hat mir erzählt, dass sie Karten im Kopf hat. Ich habe gar nicht richtig zugehört.«
    »Deshalb haben sie eine Zehnjährige in Armeelager geschickt.« Doyles grimmiger Blick verfinsterte sich noch weiter. Seine älteste Tochter war zehn. »Sie konnten sich nicht die Chance entgehen lassen, dieses Gedächtnis auszunutzen. Also haben sie ihr Jungenkleidung verpasst und sie von dem Moment an in diesen Höllenlöchern arbeiten lassen, als sie sich allein durchschlagen konnte.«
    Und sie hatte überlebt. Was für ein Leben musste das sein, wenn man die Erinnerungen an jede einzelne frostige Nacht, jeden Gewaltmarsch, jeden Toten mit sich herumschleppte? Nie vergessen

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