Joanna Bourne
fauchte Galba an. »Ich will wissen, warum diese Schlampe, die eine französische Spionin ist, mit am Tisch sitzt.«
Galba gestattete sich ein vielsagendes Schweigen, ehe er nachsichtig erwiderte: »Wir werden das nicht hier und jetzt erörtern, Colonel … oder in solch einer Ausdrucksweise.« Er wandte sich an Adrian. »Ich habe dieses Eingreifen in Lazarus’ persönliche Belange satt. Es bedeutet eine Provokation unsererseits.«
»Nicht unsererseits, sondern meinerseits. Ich handele ohne Auftrag. Annique, Ihr werdet niemals groß und stark, wenn Ihr Euer Gemüse nicht esst.«
Sie schob mit der Gabel das Essen hin und her, das Adrian ihr auf den Teller gefüllt hatte, und hörte zu, wie er sich immer mehr wegen eines Plans ereiferte, der zweifellos sehr gefährlich und kompliziert war. Sie aß nichts. Das hätte sie ohnehin nicht gekonnt, solange Colonel Reams vor Wut nur so schäumte und sie mit entsprechenden Blicken bedachte. Der Wein roch nach einem ausgezeichneten Bordeaux.
»Was meinst du?« Galba sah Grey an.
»Man sollte es versuchen. Mit Lazarus befassen wir uns dann hinterher. Will kommt zum Tragen mit.«
Adrian schnaubte unzufrieden. »Das Fenster liegt im zweiten Stock. Sie … « Sein Blick streifte Reams. »Das Paket, das ich abhole, wiegt nur einen halben Zentner. Das könnte ich mir unter einen Arm klemmen.«
»Und mehr hast du auch nicht zur Verfügung«, wandte Grey ein. »Deine Schulter ist noch nicht wieder in Ordnung. Tu, was du tun musst, aber Will wird dich begleiten.« So regelte Grey wichtige Angelegenheiten: Er schickte diese gefährlichen Männer auf Diebestour und sorgte dabei gleichzeitig für ihre Sicherheit.
Bei so einem Mann fiel es leicht, sich zu verlieben. Er spürte ihren Blick und grinste sie für den Bruchteil einer Sekunde an, wie ein Mann seinen Schatz, aber auch wie ein Kater, der von seiner Katze bekommen hatte, was er wollte. Es war ein, wenn auch sehr irritierendes, Kompliment, obwohl natürlich niemand in dieser Runde wusste, was er mit ihr angestellt hatte.
Dann wandte er sich wieder ganz ernst und auf die Sache konzentriert an Doyle. »… und stell zwei zusätzliche Wachen auf. Galba ist im Gästezimmer, aber Pax geht noch vor Sonnenaufgang.«
Der schweigsame Paxton langte über den Tisch nach der Weinflasche. »Ich nehme die übliche Route. Wenn noch jemand eine Botschaft hat, soll er sie mir heute Abend geben.«
»Meine hast du bereits.« Galba erhob das Weinglas. »Gute Reise.« Ungezwungen unauffällig griffen Grey, Doyle und Adrian ebenfalls nach ihren Gläsern und nahmen einen Schluck.
Wie es doch Erinnerungen wachrief, dieses Mahl. Als Kind hatte sie in Lyon Brot und Wein an Tische wie diesen gebracht und wie ein stilles Mäuschen danebengesessen, während Männer und Frauen ebensolche Vorbereitungen trafen und dann einer nach dem anderen aufstanden, um allein der Gefahr zu trotzen. Später hatte sie dann selber zu Vaubans Leuten, seinem engsten Kreis, gehört. Dieser stumme Toast … ihre Freunde hatten ihn auch ihr gegenüber ausgebracht. Ein Gefühl der Einsamkeit überfiel sie, als sie dies als Außenstehende beobachtete.
»Womit wir beim Stichwort wären … « Galbas Stuhl knarrte. »Mademoiselle Villiers, wir müssen diese Situation jetzt für alle Beteiligten klären. Ich bedaure, dass Ihr so wenig Zeit hattet, um Euch zu sammeln.«
Sie legte die Gabel beiseite und hörte auf, das Gemüse zu ärgern. »Ihr habt meine volle Aufmerksamkeit.«
»Möchtet Ihr Colonel Reams begleiten und Euch in die Obhut des Inlandsgeheimdienstes begeben? Ich nehme an, nein. Nein, Colonel, Sie können sich gleich dazu äußern. Es ist Eure Entscheidung, Mademoiselle.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann werdet Ihr das auch nicht, sondern bleibt bei uns. Dennoch wäre es mir lieber, Ihr würdet Euch keine Illusionen darüber machen, was vermeintliche Alternativen angeht. Sicherlich hegt Ihr bereits Fluchtpläne.«
»Man muss immer alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.« Sie versuchte gar nicht erst, jung und unerfahren zu wirken, denn das wäre hier nur Zeitverschwendung gewesen. Stattdessen setzte sie ein Gesicht auf, das Opernbesuchen vorbehalten war: aufmerksam, aber ohne allzu viel zu begreifen.
Grey gefiel es. Das Flackern in seinen Augen verriet, dass er sich in höchstem Maße amüsierte.
Galba war schwerer zu durchschauen. »Lasst uns Eure Situation einmal klarstellen. Ihr besitzt zwar genügend Intelligenz, unterschätzt jedoch Eure Bedeutung
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