Joanna Bourne
und erklärte: »Reams bekommt nicht so oft die Gelegenheit, hübsche Spioninnen zu schikanieren. Er ist ziemlich frustriert.« Er nahm ihre Hand in seine und fing an, sie zu reiben. »Für uns ist das Routine. Wir vergehen uns beinahe täglich an Frauen. Und warum halte eigentlich ich Eure Hand, wo es doch Grey ist, den Ihr wollt und der … Ja, da ist er auch schon.« Dann war Grey an ihrer Seite, und sie wandte sich um und vergrub ihr Gesicht in seiner Weste.
»Er kann dir nichts anhaben. Das sind alles nur leere Drohungen.« Grey strich ihr übers Haar. »Hast du mir nicht zugehört, als ich sagte, hier wärst du sicher?«
»Robert, bring sie hinaus«, schlug Galba vor.
»Es geht gleich wieder. Geben Sie ihr eine Minute.«
»Wir können ihr nicht viele Annehmlichkeiten bieten, aber Privatsphäre liegt durchaus im Rahmen des Möglichen.« Galba blickte weg. »Marguerite, ich entschuldige mich dafür, dass Ihr Zeuge dieses Vorfalls geworden seid. Sicherlich seid Ihr Euch der Notwendigkeit bewusst, die es mir auferlegte, Colonel Reams zu erdulden.«
Doyle kicherte. »Zum Teufel, Maggie kennt nicht mal die Hälfte der Worte, die der Colonel gesagt hat, stimmt’s, Liebes?«
»Und ob ich die kenne. Immerhin habe ich von dir so einiges gelernt.«
Alle waren sehr darauf bedacht, sie nicht anzuschauen. Aber sie konnte doch nicht aus Angst und Selbstmitleid vor den Augen so vieler englischer Spione und einer Aristokratin zusammenbrechen. Daher ließ sie Grey los. »Sei unbesorgt. Es geht mir gut.«
Er hingegen lockerte seinen Griff nicht, wofür sie ihm ausgesprochen dankbar war. »Es tut mir leid, dass du gezwungen warst, das durchzumachen. Aber wir mussten ihm zeigen, dass du unter unserem Schutz stehst. Unter Galbas Schutz.«
»Es macht mir überhaupt nichts aus, wie ein Zirkusäffchen vorgeführt zu werden.« Sie starrte mit ernster Miene auf ihren Teller. »Auch wenn ich es nicht leiden kann, dass sich aufgebrachte Männer lautstark darüber streiten, wer mich mit in den Keller mitnehmen und foltern darf.«
»Er kann Euch nichts anhaben«, sagte Doyle ruhig. »An uns kommt er nicht vorbei.«
»Mademoiselle«, sagte Galba, »Es tut mir leid, dass wir Euch beunruhigt haben. Wir setzen die Unterhaltung später fort.«
Wie höflich er war. Der laute Colonel mit seinen vielen Drohungen war noch der harmloseste aller anwesenden Männer gewesen. Nun musste sie sich den anderen stellen. »Es bringt nichts, noch länger zu warten.«
»Vielleicht doch. Möchtet Ihr Euch zurückziehen, um in Ruhe zu essen?«
»Das ist nicht nötig.«
»Wollt Ihr nicht versuchen, den Rest von Eurem Wein zu trinken?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe nicht vor, Euer Urteilsvermögen zu schwächen. Ein Glas Bordeaux dürfte doch wohl kaum dazu führen. Nein? Und sonst möchtet Ihr auch nichts mehr? Dann nehmt Euer Glas mit und lasst uns nach nebenan gehen.«
Adrian schob die Schiebetür zwischen Ess- und Arbeitszimmer zu. Dies war der Raum mit dem Sofa, wo sie schon zuvor geschlafen hatte. Offensichtlich sollte sie sich jetzt auf eben dieses Sofa setzen. Grey hatte ihr Weinglas mitgebracht. Zwar nippte sie nicht einmal daran, doch es gab ihr etwas zum Festhalten. Im Esszimmer hinter ihnen räumte Giles den Tisch ab und stapelte das Geschirr in einem in die Wand eingelassenen Speisenaufzug.
Niemand sprach sie an. Mit der Gelassenheit alter Gewohnheit nahmen sie in den bequemen Sesseln Platz. Paxton zog einen Vorhang ein Stück zur Seite und sah durch die Gitterstäbe ins schwindende Tageslicht. Sein Blick erforschte den Himmel wie jemand, der bald in See stechen würde. Adrian und Doyle fachsimpelten leise über Seile und Dächer. Galba ließ sich in dem breiten roten Sessel neben ihr nieder und sah ins Feuer. Nach ein paar Minuten brachte Giles ein Tablett mit Tassen und einer silbernen Kanne herein. Sie enthielt Kaffee, obwohl das hier England war und sie eigentlich erwartet hatte, mit der Art von Tee, wie ihn sich Engländer vorstellten, konfrontiert zu werden. Sie fragte sich, ob das so Sitte bei diesen Männern war oder zum Ablauf des für sie geplanten Abends gehörte. Grey stellte sich so dicht hinter sie, dass seine Jacke ihren Rücken streifte.
»Können wir uns jetzt unterhalten, Mademoiselle, oder braucht Ihr noch etwas Zeit?«
»Ich beglückwünsche Euch zu Eurem sparsamen Gebrauch von Drohungen. Ich glaube, Ihr habt noch keine zwanzig Worte mit mir geredet, und trotzdem zittere ich schon am ganzen Leib.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher