Joanna Bourne
weniger, als sie dir weismachen will.
Er nahm ihr Gesicht behutsam in seine gespreizten Finger und zog sie, im Bann der zwischen ihnen knisternden Spannung, Stück für Stück hoch, bis sie auf dem Bett kniete, bis er kniete. Lust und Magie ließen die Luft vibrieren. Er legte seine Lippen auf ihre. Bisher hatte er keine Gelegenheit gehabt, sie in aller Ruhe zu genießen, sie in der Gewissheit auszukosten, dass nichts anderes vor ihnen lag als eine Liebesnacht. Nun war sie da.
Ihr Mund war weich und heiß. Das Tor zu einem Universum der Leidenschaft. Sie zitterte, als er sie mit Zunge und Zähnen neckte und mehr forderte.
Dann riss er sich los und sagte leise: »An wen denkst du gerade, Annique? Die siebzigtausend Männer? Oder an einen Zigeunerjungen vielleicht?«
Lieber Gott, wie bereit sie für ihn war. Ihre schweißglänzende Haut, das Beben dieser schlanken und wundervollen Muskeln und sogar ihr Geruch sagten alles. Ihr gesamter Körper gehörte ihm, ohne Ausnahme, ohne Tabus.
»Meine Gedanken sind bei keinem Zigeunerjungen, mein lieber Grey.« Ihre Stimme klang heiser. »Ich denke nur an dich.«
Sie nahm ihn in die Arme und zog ihn aufs Bett herunter, bis sie nebeneinander lagen. Dann hauchte sie ihm sanft und schelmisch ins Ohr: »Und Robert natürlich.«
30
Am Morgen nach einer Liebesnacht fühlt man sich albern vergnügt – müde, aber aufgekratzt, als hätte man die Nacht durchgetanzt und es geschafft, ein oder zwei preußische Depeschen zu stehlen.
Sie betrachtete sich im Spiegel von Greys Zimmer und hatte den Eindruck, etwas blasiert zu wirken. »Maman hat mir nicht davon abgeraten, mir von Männern Kleider kaufen zu lassen, wie es andere Mütter tun. Aber sie hat mir empfohlen, sie sie nicht aussuchen zu lassen.«
»Eine weise Frau.« Grey hatte ihr gesagt, sie solle das lavendelfarbene Flanierkleid für den heutigen Anlass tragen. Die Farbe ließ sie zerbrechlich wirken. Die exquisite Schlichtheit des Schnitts machte sie von Kopf bis Fuß zu einer jeune fille .
Rätselhafter war da schon das Messer, das er ihr reichte. Sie warf es ein paarmal von einer Hand in die andere und steckte es dann in die Hülle, die er eigenhändig an ihrem Handgelenk befestigte. Er führte sich so auf, als wäre es das Normalste auf der Welt, eine gefangene Spionin erst zu lieben, um sie dann mit solch einer gefährlichen Waffe auszustatten. Sie wusste beim besten Willen nicht, wozu das gut sein sollte.
»Das ist von Adrian«, erklärte sie, denn das Messer war flach, mit mattbraunem Griff und lag genauso gut in der Hand wie all seine Messer.
»Er sagt, damit jemand darauf achtgibt.« Er wühlte im Kleiderschrank. »Den hier solltest du noch aufsetzen.« Es handelte sich um einen Strohhut mit lila Bändern und war ein Hinweis darauf, dass sie das Haus verlassen würde. Dies war wirklich ein ganz seltsamer erster Morgen nach ihrer Gefangennahme.
Sie grübelte darüber nach, während sie das Zimmer verließen und Richtung Treppenabsatz gingen. Von unten drangen Stimmen herauf. Schon bald konnte sie über das Geländer in die Halle des Erdgeschosses sehen und erblickte Galba in sehr vornehmer Kleidung und beim Austausch von Höflichkeiten mit einem hageren alten Mann.
»… mein Neffe Giles«, erklärte Galba, was sie bis dahin noch nicht über Giles gewusst hatte. »Er hilft aus, bis Devlin sich erholt hat. Giles, darf ich dir Lord Cummings vorstellen?«
»Ein neuer Pförtner, was? Dann bleibt es ja in der Familie.« Der Besucher sprach in der typischen, überzogenen Art eines englischen Aristokraten. »Ich bin mir sicher, dass du gute Arbeit leistest, wenn es darum geht, die Bösewichte von hier fernzuhalten, junger Giles. Gute Arbeit. Ich kann mir vorstellen, dass du in ein oder zwei Wochen nach Eton zurückkehrst und dort allen von deinen Abenteuern in London berichten wirst.«
»Harrow, Sir«, korrigierte ihn Giles.
»Ähm, ja. Die besten Jahre deines Lebens. Cricket und … so weiter.« Er klemmte sich seinen Spazierstock unter den Arm. »Also, Anson, wir müssen reden.«
Galba ging um ihn herum weiter Richtung Salon. »Du kommst an einem Sonntag her, Cummings. Dann muss es ja sehr dringend sein.«
Der Lord trapste hinter ihm her. »Was ist das für ein Unsinn, den Reams da an mich herangetragen hat? Du weigerst dich, eine französische Spionin auszuliefern?«
Sie bekam einen Riesenschreck. Man würde sie Reams ausliefern. Deshalb hatte sie sich ausgehfein ankleiden sollen. Die Aristokraten hatten
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