Joanna Bourne
bist und noch seine Wärme spürst.« Er bemerkte das unwillkürliche Blinzeln und langte über den Tisch, um sie am Arm zu fassen. »Ich verstehe das besser, als du dir vorstellen kannst, mein Kind. Ich will auch gar nichts tun, um deine Erinnerungen an Grey zu besudeln, aber das Intermezzo ist vorbei. Du hast dich dumm benommen, doch jetzt wirst du vernünftig sein.«
Sie befreite sich von seiner Hand. »Ich werde mich nicht für Fouché verkaufen.«
Seufzend wandte sich Soulier der Lampe zu und nahm eine kleine Korrektur am Docht vor. Er war sehr vornehm, sogar in diesem winzigen Büro in seinem Zuhause. »Traurigerweise liegt das nicht in deiner Hand, petite . Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um es dir erträglich zu machen, doch es wird für uns beide schmerzlich sein. Erzähl mir jetzt lieber, womit du Leblanc gereizt hast, dass er dich wie ein Besessener verfolgt. Was ist nur über ihn gekommen?«
Habgier und Boshaftigkeit . »Wer kann das schon wissen? Er ist ein Mensch voller Ränke und Pläne.«
»Unbestritten. Aber seine Pläne haben ihn noch nie dazu verleitet, dir nach dem Leben zu trachten, nicht einmal als du zwölf und unerträglich wie ein Sack Flöhe warst. Warum also jetzt?«
Sie konnte nicht antworten. Es war ein gefährlicher Tanz, den sie da mit Leblanc begonnen hatte. Sie hatten sich gegenseitig im Würgegriff. Sie beschuldigte ihn nicht, und im Gegenzug bewahrte er Stillschweigen über Vauban und jenen Tag in Brügge.
Souliers Blick wich nicht von ihrem Gesicht. »Du wagst keine Spekulationen? Nein? Sehr interessant. Was ist denn jetzt schon wieder?« Ein Dienstmädchen, dem Aussehen nach eine Engländerin, kam herein und beugte sich zu Soulier, um ihm ein paar Worte ins Ohr zu flüstern. »Wie schnell sich hier in London doch alles herumspricht. Du wirst gesucht.«
»Leblanc?«
Er war gekommen, um sie zu töten. Er würde sie aus diesem Wohnzimmer mitnehmen und irgendwo draußen umbringen.
»Nun schau nicht wie ein verwundetes Reh, Annique. Ich lasse nicht zu, dass er diese hübschen Teppiche mit deinem Blut besudelt. Vielmehr werde ich ihn fragen, warum er hier in meinem Inselkönigreich so ungewöhnlich törichte Sachen anstellt.« Er hörte erneut dem Hausmädchen zu und erteilte ihr leise Befehle. »Leblanc ist nur der Erste, der uns heute Morgen besucht. Dein Liebhaber Grey ist ebenfalls im Anmarsch und Leblanc dicht auf den Fersen.«
Grey hatte sie gefunden. Sie unterdrückte den plötzlichen Anfall absurder Erleichterung. Das bedeutete keine Rettung, sondern unglaubliche Verwirrung.
Der Stock in Souliers Händen beschrieb einen ordentlichen Kreis auf dem Boden. »Das wird unterhaltsam. Ich muss Grey Einlass gewähren, denn schließlich bin ich ganz offiziell als Spion in England und werde von ihm geduldet. Ich muss mich also benehmen.«
»Ihr solltet ihn lieber wegschicken. Er ist gefährlich.«
»Das ist er zweifelsohne. Aber vielleicht plaudert er mit mir über Leblancs Absichten, da du ja so wenig Interesse daran hast.«
An der Vorderseite des Hauses wurden Türen geöffnet und geschlossen. Sie versuchte sich auszumalen, was passierte, wenn sich diese drei Spionagechefs begegneten. Doch es gelang ihr nicht. Ihre Vorstellungskraft reichte nur aus, um sich von Leblancs Hand sterben zu sehen. Es war die reinste Katastrophe, ein grenzenloses Chaos. Und ihr fiel nichts ein, wie sie damit fertig werden sollte.
Dann betrat Leblanc den Raum, was ihr eine so große Angst einjagte, dass sie nicht mehr denken konnte.
»Jacques.« Souliers Stimme war auffällig gleichmütig. Seine ruhig im Hintergrund wartenden Männer waren alarmiert. »Du beliebst, mir einen Besuch abzustatten. Komm. Babette soll dir auch einen Kaffee machen. Oder wenn du lieber Wein hättest – «
»Ich bin wegen Annique hier. Gebt sie mir, und ich gehe wieder.«
Leblanc hielt seinen Arm steif an die Brust gepresst. Also tat ihm noch immer die Stelle weh, wo sie mit dem Messer zugestochen hatte. Sein käsiges Gesicht hob sich von seiner dunklen englischen Jacke ab. Doch Schmerz allein war nicht die Ursache für sein blasses Aussehen. Er hatte große Angst. Lag es daran, dass Grey ihm so dicht auf den Fersen war? Oder nahm er an, dass sie ihr Schweigen über die Ereignisse in Brügge gebrochen hatte? Er sollte eigentlich wissen, dass sie Vauban nicht verraten würde.
»Du benimmst dich heute sehr schroff, Jacques«, meinte Soulier nachdenklich. »Und dennoch haben wir, meine ich, viel zu
Weitere Kostenlose Bücher