Joanna Bourne
etwas leichter zu handhaben sein. Sie bemerkte zwar sogleich, was er vorhatte, doch es dauerte eine ganze Weile, bis sie zur Vernunft kam und sich ihrem Schicksal fügte. Und sich schließlich geschlagen vornüber in die Kissen sinken ließ und nur noch schlapp nach Luft schnappte, wie ein Fisch an Land.
Sie war in großen Schwierigkeiten. Der Engländer hatte sie nicht deshalb aufgegriffen, weil ihm der Sinn danach stand, rangniedere und unbedeutende Agentinnen einzusammeln. Es war Leblancs dummes Gerede über die Albion-Pläne, das ihn interessierte. Jeder Spion in Europa suchte sie. Leblanc hätte einfach nur seinen Mund halten müssen. In letzter Zeit war sie wirklich vom Pech verfolgt.
Sie überlegte, was ein Mann wie Grey wohl alles anstellte, um die Albion-Pläne zu finden, wenn er eine französische Agentin raus aus Paris an irgendeinen einsamen Ort verschleppte und sie allein mit ihm wäre. Sie konnte sich schon vorstellen, wie er die gewünschten Informationen aus einer mit vielen gefährlichen Geheimnissen beladenen, französischen Spionin herausbekäme, um sie danach zum Schweigen zu bringen. Sein eiserner Griff lockerte sich auch nicht, als sie schweißgebadet auf den Knien lag. Innerlich aber war sie so kalt wie ein Tag im Januar.
»Fertig?«, fragte Grey.
Sie konnte nur nicken.
»Ich bin froh, dass ihr beiden das geklärt habt.« Adrian saß ihr gegenüber. Seine Stimme klang zwar schwach, doch höchst amüsiert. »Ihr tretet mich die ganze Zeit.«
»Wir haben das geregelt«, beruhigte Grey ihn, »es sei denn, sie beißt mich, wenn ich sie loslasse.«
Bei diesen Worten ließ ihre Angst etwas nach, denn Greys Gebaren vermittelte nicht den Anschein, als wollte er sie auf der Stelle umbringen. Und der Junge, Adrian, war so unbeschwert, wie nur ein Monster es gewesen wäre, hätte ihr Schicksal ihren Tod nahe Paris durch die Hände dieser Engländer gewollt.
»Ich hätte Euch bei Leblanc verrecken lassen sollen«, zischte sie. »Wirklich.«
»Dafür ist es jetzt ein wenig zu spät, Mademoiselle«, erwiderte Grey.
»Erlaubt mir, Euch zu widersprechen, denn es ist nie zu spät. Aber wahrscheinlich werde ich es für den Rest meines Lebens bereuen. Was gedenkt Ihr mit mir zu tun?«
»Ich habe nicht vor, Euch wehzutun, Annique.«
Ja, klar. Für wie blöd hielt er sie eigentlich? »Ich habe Euch das Leben gerettet. Ist nicht gerade ein angemessener Lohn, was Ihr da mit mir macht.«
»Da habt Ihr vollkommen recht.« Dann schwiegen sie eine Weile, und er machte keinerlei Anstalten, noch mehr dazu zu sagen.
Nun war Umdenken gefragt und das Eingeständnis, verloren zu haben, was sie dann auch tat und gleich darauf spürte, wie auch ihre Muskeln von Schwäche und Verzweiflung befallen wurden. Grey, der sie immer noch unentrinnbar festhielt, musste dies auch gefühlt haben, denn er lockerte den Griff etwas. Leise stellte sie fest: »Sokrates hat gesagt, dass den Guten kein Übel geschieht, weder im Leben noch nach dem Tod. Davon bin ich jetzt aber nicht mehr überzeugt. Was wollt Ihr von mir?«
»Begleitet uns ein Weilchen.« In seiner Stimme lag tiefe Befriedigung.
»Wie lange wollt Ihr mich festhalten?«
»Bis ich Euch gehen lasse.«
»Oh, Ihr seid so witzig, Monsieur. Verzeiht mir, wenn ich nicht lache. Ich sprühe heute Nacht nicht gerade vor Heiterkeit.« Sie lehnte ihre Wange an den Sitz, gegen das kalte Leder, unsagbar erschöpft und geschlagen. Bei ihren Freunden und Feinden in dieser kleinen Welt der Spionage war sie das Füchschen. Aber nun würden keine noch so schlauen Tricks sie aus dieser Lage befreien können. Nichtsdestotrotz unternahm sie einen letzten Versuch und spielte die Dumme. »Ihr verschwendet Eure Zeit mit mir. Ich bin nur eine unbedeutende Agentin, ein Mäuschen in der Wand, eine Botin. Ich hüte keine Geheimnisse, die für einen Engländer von Interesse sein könnten.«
Und damit gab sie vor, nicht die kleinste Kleinigkeit von den Albion-Plänen oder der Invasion Englands oder von all dem, was in den vergangenen Monaten in Brügge passiert war, zu wissen. Sie ging allerdings nicht davon aus, ihn zum Narren halten zu können.
»Ach, tatsächlich?« Er klang nicht sonderlich interessiert.
»Ganz gewiss. Ihr habt Leblanc zwar etwas anderes sagen hören, doch der ist ein Narr.« Als er nichts erwiderte, wurde sie etwas deutlicher. »Er redet von irgendwelchen Albion-Plänen, von denen ich nicht die geringste Ahnung habe. Leblanc hat da eine alte Fehde, müsst Ihr wissen. Er
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