Joanna Bourne
Teufel, Mädchen. Bring sie mal ans Licht, Grey.« Doyle griff ihr ins Haar und zog ihr den Kopf in den Nacken. Sie wehrte sich noch immer, wobei sie die Augen krampfhaft geschlossen hielt und sich darauf konzentrierte, einen Treffer mit ihren Tritten zu landen.
»Heiliger Strohsack. Annique Villiers.« Doyle stieß einen leisen Pfiff aus. »Du sammelst die verrücktesten Dinge, Grey. Was zum Teufel willst du mit dem Füchschen?«
3
Manchmal, so dachte Annique, musste man für einen winzigen Fehler teuer bezahlen. Sie hätte sich nicht durch das Wasser verführen lassen dürfen.
Bei dem kurzen Kampf hatte sie sich nicht mit Ruhm bekleckert. Gegen den englischen Spion, den sie dummerweise aus Leblancs Händen befreit hatte, war sie chancenlos gewesen. In dieser Nacht hatten sie beide nicht sehen können, und unter solchen Bedingungen zu kämpfen, hatte sie doch immer und immer wieder geübt. Das hatte sie sich jedoch nicht zunutze machen können. Einen schmutzigen Trick nach dem anderen hatte sie aus dem Hut gezaubert, aber dieser stattliche Mann kannte sie alle. Er konnte einfach viel besser kämpfen als sie.
Es war schnell vorbei. Er presste sie eng an sich, schnürte sie zusammen wie ein kleines, widerspenstiges Paket, und das war’s gewesen mit ihren Fluchtversuchen. Seine Muskeln waren stahlhart, unverletzlich, unendlich stark. Sie spürte die primitive Zufriedenheit, die durch seinen Körper pulsierte. Es stimmte ihn auffallend fröhlich, sie auf diese Weise gefangen zu haben. Ihre Furcht vor ihm wuchs gewaltig.
Noch vor einer Stunde hatte sie ihre Hand auf sein Herz gelegt und sich nichts anderes gewünscht, als bei ihm zu bleiben. Genau das war eingetreten. Das Universum hatte sich in letzter Zeit recht viele Scherze mit ihr erlaubt.
Sie wurde weitergeschleift. Der Kutscher – der englische Spion, der einen Kutscher mimte – packte ihre Haare, schaute sie an und stellte fest: »Annique Villiers.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, erkannt zu werden. Nicht so hoch im Norden und bei den Engländern, mit denen sie doch so wenig zu schaffen hatte.
Dann stellte er fest: »Du sammelst die verrücktesten Dinge, Grey.« Vor Schreck stockte ihr der Atem.
Grey. Das war der englische Spion Grey? Mit diesem Mann konnte sie sich nicht messen. Gütiger Gott, kein Wunder, dass er sie auf diese Art geschnappt hatte. Sie war geradewegs in die ungeordneten Ausläufer einer größeren Operation der Briten gestolpert. Aus keinem anderen Grunde würde Grey sonst in Frankreich sein.
Welch riesengroßes Pech. Der Mann namens Grey war der Chef des gesamten britischen Geheimdienstes und kam gleich nach dem legendären Galba höchstpersönlich. Grey hatte es nicht nötig, in Paris herumzulaufen und weiblichen Spionen aufzulauern. Er war ein Mann, der viele Agenten in ganz Europa hatte und in unzähligen wichtigen Dingen unterwegs war; allesamt erheblich komplizierter und bedeutender, als sich damit aufzuhalten, ihr das Leben so schwer zu machen. Grey sollte eigentlich – sie überlegte fieberhaft, was angemessen wäre – sollte eigentlich von einem Büro in Whitehall oder von irgendeinem anderen passenden Ort aus Napoleons Sturz planen. Es war äußerst dumm und für ihn gefährlich, in Frankreich herumzuschleichen, wo er der Gefahr ausgesetzt war, verurteilt und irgendwann von irgendwem in einen Keller gesperrt zu werden.
Und doch befand Grey sich – das war kaum von der Hand zu weisen – in Frankreich. Als er sie festhielt, stürmte plötzlich alles auf einmal auf sie ein: Müdigkeit, Durst, die langen Wochen des Alleinseins, in denen sie ganz auf sich gestellt durch die Dunkelheit gelaufen war, und die völlige Niederlage, die ihr dieser hochrangige englische Spion beigebracht hatte. Ihr Mut und das letzte bisschen an Stärke, die sie je als Kämpferin besessen hatte, verließen sie. »Bitte, tut mir das nicht an.«
»Immer sachte. Rauf mit Euch.« Grey zerrte sie in die Kutsche, als wäre sie eine Trophäe, die er auf besonders schlaue Art gewonnen hatte, was ja auch irgendwie zutraf. »Keine Spielchen mehr. Ich würde das wirklich sein lassen.«
»Bitte. Ich werde auch nichts über Euch verraten. Kein einziges Wort.« Ihre Stimme klang gedämpft, da er sie in die Kissen drückte. Er war das reinste Kraftpaket und äußerst schwer.
»Nein, ich denke, das werdet Ihr nicht«, bestätigte er.
Er beobachtete zufrieden, wie sie sich unter ihm wand, wild um sich schlug und trat. So würde sie sich verausgaben und
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