Joanna Bourne
lässt.«
»Ihr habt Maman getötet, als ich erblindet und nutzlos war. Und drei Engländer in Brügge. Und zwei von Euren eigenen Männern. Und die Drouets auf ihrem Hof«, sagte sie Leblanc direkt ins Gesicht, bevor ihre Stimme brach, »sogar die Kinder. Gott allein weiß, wie viele andere noch. Und das wegen Gold … « Sie konnte nicht weitersprechen.
Leblanc war wie eine in die Enge getriebene Ratte, die die Zähne fletschte. »Das werdet Ihr bereuen, Soulier. Fouché wird Euch zerquetschen wie eine Ameise, wenn ich ihm das erzähle.«
Soulier hatte sich in einen Eisblock verwandelt; starr und blau glänzend. »Du bist ein gieriger Mensch, Jacques. So gierig, dass ich dir diese Gräueltaten durchaus zutraue. Das beantwortet mir einige Fragen, die sich im vergangenen Jahr ergeben haben. Und warum sonst solltest du versuchen, Annique umzubringen?«
»Sie lügt«, zischte Leblanc.
»Wie kannst du nur so unglaublich dumm sein, anzunehmen, dass du in meinem Haus jemanden angreifen kannst, dem ich Zuflucht gewähre. Dies einer Frau anzutun, die Grey unter seinen Schutz gestellt hat … Ist dir Idiot denn gar nicht klar, dass er ein Dutzend Männer draußen hat? Dass dies seine Falle ist, die er heute Nacht allein für dich ausgelegt hat, um dich hängen zu sehen?«
Da Grey hinter ihr stand, konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, Leblanc aber schon. Er wurde leichenblass. Es gefiel ihm nicht, seinem eigenen Tod ins Auge zu blicken, bei all dem Tod, den er gebracht hatte.
Soulier ließ die schmale Klinge wieder in der getarnten Hülle verschwinden und sicherte sie mit einer kurzen, tückischen Drehung. »Ich werde Grey die Mühe ersparen, wenn er einverstanden ist, und dich Fouché übergeben, damit er ein Exempel statuiert. Es wird seine schlechte Laune vertreiben, wenn er dich von deinem Kopf trennt. Sie gestatten, Monsieur Grey?«
Greys ruhige Stimme erreichte sie. »Annique, Leblanc gehört dir. Soll ich ihn für dich hängen? Du kannst ihn aber auch eigenhändig umbringen, wenn es das ist, was dir Genugtuung verschafft. Was auch immer du willst.«
Was für ein abscheulicher Gedanke, Hand an Leblanc zu legen und ihn zu töten. Sie schüttelte rasch den Kopf.
»Nehmen Sie ihn ruhig und schaffen Sie ihn hier raus«, wandte sich Grey wieder an Soulier. »Wir müssen reden. Allein.«
Soulier winkte ungeduldig. »Yves, bring ihn … Ich weiß auch nicht. Es gibt in meinem Haus keinen Käfig für solche Ratten. Bringt ihn irgendwohin und bewacht ihn. Die Vorratskammer. Geht jetzt alle, ja, alle. Und lasst ihn nicht entkommen.«
Wie eine sich entfernende und dabei bedrohlich klappernde Schlange wurde Leblanc unter wüstem Fluchen seinerseits aus dem Raum geschleppt.
38
Nachdem Leblanc das Zimmer verlassen hatte, war es seltsam ruhig. Sie suchte Halt an Greys Arm und presste ihre Wange an seinen Ärmel. Die Liebe raubte einem wahrlich jeden Verstand. Sie war versucht, ihn nicht mehr loszulassen, von seiner Stärke zu zehren und sich sicher zu fühlen. Ehe sie sich begegnet waren, hatte sie gar nichts von der Existenz solcher Versuchungen gewusst.
Als sie sich schließlich von Grey losriss, verharrte er einen winzigen Augenblick lang, was ihr zeigte, dass er sie nicht gehen lassen wollte.
»Soulier muss die Wahrheit darüber erfahren, was ich getan habe«, verkündete sie feierlich, woraus ein scharfsinniger Mensch wie Grey schließen konnte, dass sie gleich lügen würde.
Dies war der letzte Zug in ihrem Spiel. Ihn hatte sie während ihres Aufenthalts in der Meeks Street geplant, als sie an Greys Seite gelegen, mit Galba Schach gespielt und Hawker das Jonglieren mit Messern beigebracht hatte. Wenn sie jetzt überzeugend log, wäre die Gefahr einer Invasion aus der Welt geschafft, ohne dass die Briten dadurch im Vorteil waren.
Soulier saß weltmännisch und vornehm gekleidet in dem Sessel mit der hohen, gobelinbestickten Rückenlehne. Er hätte ein Höfling des früheren Königs sein können, der gerade einen Botschafter in Versailles empfing.
Sie musste ihn dazu bringen, dass er nur sie ansah und nicht Grey. Grey war unvorbereitet und konnte sich schon durch eine kleine Regung etwas anmerken lassen. »Ich habe die Albion-Pläne nicht vor den anderen ansprechen wollen, da ich weiß, dass Ihr das nicht gern gesehen hättet.«
»Dann sprich auch jetzt nicht davon«, entgegnete Soulier gereizt.
»Ich muss es.« Sie stand gerade vor ihm, so wie sie es schon viele Male getan hatte, wenn sie ihm
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