Joanna Bourne
kostete davon.
»Ihr betrachtet vieles als selbstverständlich«, brummte er.
Ein Lachen aus tiefer Kehle, genau wie das von Maman, erklang. »Ich werde nichts tun, das Ihr nicht wünscht.«
Sie wickelte sich den Seidenstrick um die rechte Handfläche. Einmal, zweimal. Und noch einmal. Auf ihrem Schoß lag ein halber Meter davon locker zwischen ihren Fäusten gespannt. Sie schmiegte sich eng an ihn. Um ihren Plan auszuführen, musste sie ihm sehr nahe kommen.
Oh, wie schwer es ihr doch fiel. Ihn zu berühren, ließ sie unerträglich schwach werden. Ihre nackten Brüste streiften plötzlich den von den darunterliegenden Muskeln angewärmten Stoff. Sie war wie vom Blitz getroffen, vergaß völlig zu atmen, verhielt sich wie das Kaninchen vor der Schlange.
Aus der Tiefe seiner Brust dröhnte es, wie aus einem Berg kurz vor einem Erdbeben.
Irgendwie wusste die Kurtisane in ihr genau, was als Nächstes zu tun war. Da war der Nacken, der immer wieder geküsst werden musste, während sie sich an eisernen Muskeln entlang hinaufarbeitete. Das plötzliche Gefühl seiner Haare an ihren Lippen ließ sie erbeben, denn es war so überraschend.
Er würde ihr Zittern spüren. Das ließe sie noch harmloser erscheinen. Wenn ihre Gedanken nur nicht so durcheinanderrasten. Sie öffnete und schloss ihre Hände um das darin liegende Band.
Dann erhob sie sich auf die Knie, knabberte mit den Lippen an seinem Ohr und ließ ihre Zunge daran spielen. Wie bitter, salzig und merkwürdig geformt es doch war. Sie zupfte zart daran. So etwas hatte sie schon seit Langem bei einem Mann machen wollen, um zu wissen, wie es war.
Fast war es so weit … fast … Die Seidenschnur in ihren Händen wurde feucht. Ich werde Euch nicht wehtun , versprach sie stumm. Ich werde äußerst vorsichtig sein .
»Ich habe mich geirrt. Ihr dürft so aufdringlich sein, wie Ihr wollt.« Grey berührte ihren Oberschenkel. Im nächsten Moment würde er sie wegstoßen oder an sich reißen. Aber sie wusste, dass er es nicht länger aushielt. »Wo ist Eure Raffinesse hin?«
Jetzt. Es musste jetzt geschehen. Ich will das nicht tun. Ich will das ganz und gar nicht tun .
Sie hauchte: »Ich bin die Raffinesse in Person.«
Ein ganz vorsichtiger Zug an dem Seidenband zwischen ihren Händen. Sie kreuzte die Arme, machte eine Schlinge und beugte sich vor. Dann küsste sie ihn zärtlich direkt unters Ohr. Im gleichen Moment schwang sie die Schnur über seinen Kopf und legte sie ihm um den Hals. Mit einem kräftigen Ruck zog sie die Schlinge zu, ließ nicht mehr locker und drehte ihm die Luft ab.
6
Seine Lunge zog sich krampfartig zusammen. Ein gewaltiger Dämon hatte sich an seinen Rücken geklammert, seine Kehle umschlungen, würgte ihn, zog ihn herunter. Mit tauben Händen versuchte er, ihn zu packen. Vergeblich …
Er warf sich vor und zurück und versuchte, den an ihm klebenden Feind abzuschütteln. Schwarze und rote Blitze zuckten abwechselnd. Er warf sich herum und holte mit letzter Kraft aus. Als seine Faust traf, spürte er es nicht einmal.
Zu spät. Wie von einem Strudel erfasst, wurden er und dieser Gedanke in eine große Leere hinabgezogen. So musste es sich anfühlen, wenn man starb.
Plötzlich war dieser unerträgliche Druck an seiner Kehle verschwunden. Er schnappte nach Luft. In seiner Brust brannte der Todeskampf. Die Welt verschwamm blutrot vor seinen Augen, als er zutrat und sich freikämpfte. Er rollte sich blitzschnell zur Seite, stieß an die Wand und presste den Rücken dagegen. Keuchend wartete er auf den nächsten Angriff.
Es war dunkel, als er die Augen öffnete. Nacht. Weder Schüsse noch Pferde waren zu hören. Die Schlacht war vorbei. Man hatte ihn verwundet den menschlichen Aasgeiern überlassen, die die Schlachtfelder säuberten. Wo waren seine Männer? Sie hätten ihn nicht zurückgelassen. Dann hatten sie also verloren. Ungeordneter Rückzug. Wilde Flucht.
Neben ihm rang jemand nach Luft … lag vielleicht im Sterben.
Unter ihm war etwas Weiches. Erde war es nicht. Er griff danach. Es war … Stoff. Seine Desorientiertheit war so groß, dass er völlig verwirrt war. Dann fiel es ihm wieder ein. Er lag im Bett, nicht auf dem Schlachtfeld. In Frankreich, in Roussels Gasthaus.
Im Kampf gegen Annique Villiers.
Das Todesröcheln neben ihm war Annique. Jetzt erinnerte er sich. Er hatte sie getroffen. Mit Fäusten, die einen ausgewachsenen Mann töten könnten. Was habe ich nur getan?
Es war zu dunkel, um etwas zu sehen, aber er konnte
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