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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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sofortige Begreifen. »Sie kann nicht sehen.«
    »Lass es niemanden merken«, befahl Grey.
    »Mit Vergnügen. Oh Mann, ich liebe Überraschungen, so früh am Morgen.« Der Junge war trotz seiner Schmerzen voll auf dem Posten.
    »Man kann Euch sehen.« Er sagte, was offensichtlich war und Annique bereits wusste. »Zwanzig Minuten, und ich schaffe Euch von hier weg. Wartet solange und esst etwas.« Das galt für beide.
    Auf der anderen Seite des Hofes spielte Will Doyle den Kutscher, indem er das rechte Pferd, eine kräftige gescheckte Stute, in weitem Bogen im Innenhof auf und ab führte und ihren Gang überprüfte. Er gab einen exzellenten Kutscher ab. Ebenso überzeugend war er in der Rolle des deutschen Grafen, Handelsbankiers, Londoner Zuhälters und Vikars der anglikanischen Kirche.
    Doyle machte eine letzte Runde und blieb dann mit der Stute stehen. »Noch schnüffelt niemand rum.«
    »Sie werden denken, dass wir in Paris krepiert sind. Das verschafft uns einen Vorsprung.« Aber Männer zu Pferd würden sie jederzeit einholen.
    »Wir schlendern gemütlich und unauffällig davon, dann wird’s schon gehen.«
    Mit Glück. Ganz viel Glück. »Ich will die Kugel sobald wie möglich raushaben. Halt nach einer geeigneten Stelle Ausschau, wenn wir an St. Richier vorbei sind. Hast du alles, was wir brauchen?«
    »Ein komplettes chirurgisches Besteck. Hab’s einem Marinearzt in Neuilly gestohlen. Das hier ist auch sein Pferd.« Er tätschelte die Flanke der Stute. »Ich wünschte, ich hätte diesen Bauchaufschneider gleich mit entführt.«
    »Ich auch. Ich nehme nicht an, dass du in deiner langen und bewegten Karriere jemals eine Kugel entfernt hast?« Er drehte dem Gasthaus den Rücken zu. Adrian konnte Lippenlesen. »Damit befördere ich ihn ins Jenseits. Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung, wie man Leuten Kugeln rausschneidet. Bist du sicher, dass du es nicht doch versuchen willst?«
    »Besser für ihn, wenn du’s probierst. Dir vertraut er. Das hilft.« Doyle ging in die Hocke und strich wie ein Kutscher mit den Händen über das Bein des Pferdes. »Er wird nicht gleich an einer oder zwei Kugeln sterben. Geboren für den Galgen, unser Hawker. Wie läuft’s mit dem Mädchen?«
    »Anders als erwartet.« Er stellte fest, dass er sich unbewusst umgedreht hatte, um sie zu beobachten.
    Sie gaben ein hübsches Paar ab, Hawker und Annique, wie sie so nah beieinander auf dieser großen Terrasse unter den Bäumen gemütlich am Tisch saßen. Münzgroße Sonnenflecken fielen durch die Bäume und tanzten um sie herum. Sie waren gleichaltrig, und ihr schlanker, kleiner Wuchs strahlte dieselbe Grazie aus. Schwarze Haare fielen ihnen, in der Sonne glänzend, ins Gesicht. Gesichter, deren Ausdruck – nicht die Züge; da war kaum etwas gleich – sich unheimlich ähnlich waren. Sie hatten so etwas fröhlich Boshaftes an sich, wie Kobolde, denen man Aufschub für den Gang in eine der Vorhöllen gewährt hatte. Sie hatten die Köpfe zueinander geneigt, aßen und lauschten den leisen Gesprächen.
    »Er mag sie.« Doyle beobachtete sie auch. »Hoffe, sie versucht nicht, sich unter seiner Aufsicht aus dem Staub zu machen. In seiner Verfassung müsste er schon grob werden, um sie aufzuhalten.«
    »Wir haben nichts zu befürchten, solange es hell ist. Will, sie ist stockblind.«
    Doyles Gesicht zeigte zwar keine Regung – er hätte nicht einmal dann gezuckt, wenn ihm offenbart worden wäre, dass Annique die Kaiserin von China war –, aber irgendwie sickerte seine Überraschung doch durch. Die Stute schlurfte nervös über den Boden. Doyle stieß einen leisen Pfiff aus, und das Tier beruhigte sich.
    »Meine Güte. Blind?«
    »Ihr Schädel hat einen Säbelhieb abbekommen. Vor fünf Monaten. Unter ihrem Haar ist eine Narbe zu fühlen.«
    »Heiliger Bimbam.« Doyle holte einen kleinen Elfenbein-Zahnstocher aus der Westentasche und begab sich damit nachdenklich zwischen den Backenzähnen auf Entdeckungstour. »Warum weiß ich nichts davon? Ich hörte, dass sie mit ihrer Mutter in Marseille war. Ist mir nie zu Ohren gekommen, dass das Füchschen außer Gefecht wäre. Von keiner meiner Quellen. Keine einzige Silbe.«
    »Sie weiß es gut zu verbergen. Hat sie bestimmt Monate gekostet, das zu trainieren.« Wie lange hatte sie wohl gebraucht, um zu lernen, in der Dunkelheit zu kämpfen?
    »Darum war sie auch so einfach zu schnappen. Blind und andauernd auf dem Sprung.«
    »… und ausgehungert, verletzt und erschöpft. Drei Mann reichten, um

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