Joanna Bourne
ist tot. Ihr alter Lehrmeister Vauban auch. Soulier würde ihr helfen – sein Rang würde das weiß Gott ermöglichen, und sie war seit frühester Kindheit sein Liebling – , aber er sitzt quasi bei uns um die Ecke in London. Jeder, der das Füchschen beschützen könnte, ist entweder tot oder außerhalb Frankreichs. Fouché wird eine Nutte aus ihr machen.«
»Das ist sogar für einen Franzosen hartherzig.«
»Es steckt keine Böswilligkeit dahinter. Fouché gehört noch zur alten Schule. Hat’s nicht gern, wenn Spioninnen woanders arbeiten als auf ihrem Rücken.« Doyle bückte sich, um die Verschlüsse der Riemen und Gurte zu kontrollieren. »Manche Männer würden mit Vergnügen mit einem blinden Mädchen schlafen.«
»Verflucht.«
»Wir alle kennen die Risiken dieses ›Spiels‹.« Doyle wischte sich mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck den Staub von den Fingern. »Aber für Frauen sind sie größer.«
Ja, Frauen gingen ein größeres Risiko ein. Er hasste es, seine Spioninnen draußen einzusetzen.
Die Tore des Innenhofs standen offen. Streifen hoher Federwolken und ein feiner Nebelschleier schimmerten am westlichen Horizont. Das Wetter von morgen und übermorgen. Es würde regnen, auf ihrem Spießrutenlauf zur Küste. Leblancs Männer würden sie erwarten. »Sie war auf dem Weg nach England, als sie Marseille verließ, davon bin ich überzeugt. Das ist der einzige Ort, wo sie vor Leblanc sicher ist.«
»Klingt logisch. Leblanc auf der einen Seite, Fouché auf der anderen. Kein Unterschlupf in Frankreich. Sie war auf dem Weg zu Soulier nach London, um Hilfe zu suchen.«
»Und läuft stattdessen uns in die Arme. Sie gehört uns.« Mir .
»Wir haben unsere eigene kleine französische Spionin.« Doyle lächelte. »Ich wette, sie ist mit Geheimnissen vollgestopft. Sie wird mit uns verhandeln. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig.«
»Nach einer Weile wird sie es schon begreifen.« Er würde sie ins Hauptquartier in der Meeks Street bringen. Dort wäre sie sicher, und er hätte alle Zeit der Welt, in ihr kompliziertes, schlaues Köpfchen zu dringen. Sie würde ihm alles erzählen, was er wissen wollte. Er war gut bei dem, was er tat. »Sie hat schon angefangen, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Sich damit abzufinden.«
»Ach ja? Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass sie versucht, mich mit einem herumliegenden Stück Faden zu erdrosseln, oder?«
»Wenn du ihr nicht gerade den Rücken zukehrst.«
Doyle wandte seine besorgte Miene dem Pferd zu. »Ich werde vorsichtig sein. Blind! Hol mich der Teufel.«
Drüben an dem rustikalen Tisch hing Adrian unfein auf die Ellbogen gestützt zwischen Kaffeetasse und Brötchenkorb und sah so aus, als habe er eine durchzechte Nacht hinter sich. Annique hielt den Blick weiterhin gesenkt und wirkte etwas geistesabwesend. Es war die Art, mit der sie ihre Finger ausschickte, wenn sie nach etwas langte, diese langsame, gewandte Bewegung voll fließender Anmut. Adrian machte nicht den Eindruck eines Verwundeten und Annique nicht den einer Blinden.
»Großartig die zwei, nicht wahr?« Doyle ließ sich nicht anmerken, dass er die beiden beobachtete, aber natürlich tat er es. Er machte sich jetzt an den Zügeln zu schaffen, zog sie durch die Zügelringe und überprüfte die Unterseiten auf Abnutzungserscheinungen. »Profis. Ist ein Vergnügen, sie bei der Arbeit zu sehen. Ich wünschte, wir könnten sie abwerben. Ich könnte das Mädchen gut gebrauchen, auch wenn sie blind wie ein Maulwurf ist.«
Der Wind hatte etwas aufgefrischt und zerrte die Schatten der Bäume kreuz und quer über die Terrasse. Annique lächelte in ihren Kaffee, als sei er ein besonderer Genuss, den Adrian nur für sie erfunden hatte. Dieses Lächeln wirkte auf ihn wie eine Liebkosung in der Leistengegend. Verrückt. Am liebsten wäre er quer über den Hof gestapft, hätte das Mädchen nach oben geschleppt und ihr gezeigt, warum sie dieses Lächeln nicht in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen durfte.
Er musste sich bewusst von ihr abwenden. »Erzähl mir etwas über Annique Villiers. Aus irgendeinem Grunde gibt es in London keine Akte über sie.«
»Merkwürdig. Nun, sie setzen sie nicht gegen die Briten ein. Was willst du wissen? Zum Beispiel ist sie Pierre Lalumières leibliche Tochter.«
»Lalumière? Der Die zehn Fragen geschrieben hat?«
»Und Gesetz und Naturrecht und Über die Gleichberechtigung und so weiter.« Doyle ließ ihm Zeit, es sacken zu lassen.
Pierre
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