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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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Hände abzuwehren. »Es ist überhaupt nicht notwendig und sehr unhöflich.«
    »Wacht auf.« Er schlug sie erneut. Eigentlich tat es gar nicht richtig weh, war aber auch kein leichter Klaps auf die Wange.
    »Ich bin wach.« Sie packte sein Handgelenk, damit er sie nicht noch einmal schlagen konnte. In ihrem Kopf waren ein heilloses Durcheinander und eine Art Nebel. Das war Grey. Grey saß bei ihr in der Kutsche und wollte, dass sie aufwachte. Wo waren sie? Sie konnte sich nicht erinnern. »Ihr müsst mich nicht mehr verprügeln. Ich bin ja schon wach.«
    »Gut. Ich brauche Euch nämlich wach, Annique. Gleich werden uns Gendarmen anhalten. Nein, wollt Ihr wohl nicht wieder einschlafen. Ihr müsst wach bleiben und mit ihnen reden. Schafft Ihr das?«
    Sie presste sich die Handballen an die Schläfen. Gendarmen. Sie waren in Frankreich. Grey … Grey war der englische Spion. Leblanc war hinter ihr her, verlangte nach ihrem Tod. Er hatte die Gendarmen auf sie angesetzt.
    Sie konnte nicht klar denken. »Gendarmen?«
    Grey wechselte ins Deutsche. »Könnt Ihr eine Bayerin mimen? Wir müssen deutsch sprechen. Schafft Ihr das?«
    Schicht um Schicht wich der Schlaf blankem Entsetzen. Das war nicht Grey. Diese schneidige, präzise, intellektuelle Stimme. Dieser deutsche Tonfall. Neben ihr in der Kutsche saß ein Mann mit Greys Gestalt, Geruch, Wärme und Kleidung … der nicht Grey war.
    »Annique. Wacht auf und redet mit ihnen. Jetzt.«
    Sie legte ihre Hand an seinen Mund und spürte seinen Atem bei jedem Wort. Er fühlte sich an wie Grey, die Form seiner Lippen, die Stoppeln auf seiner Wange, sein Geruch. Aber es war nicht seine Stimme.
    »Was ist los?« Seine Worte, aber nicht seine Stimme. Grey, der deutsch sprach.
    Es machte ihr Angst und verwirrte sie, zu hören, wie eine andere Stimme Greys Mund entwich. Es war unfassbar falsch. Sie war allein im Dunkeln, und die Vertrautheit seiner Stimme fehlte ihr.
    »Nichts. Jetzt bin ich wach.« Sie schüttelte den Kopf.
    Das hätte sie nicht tun sollen. Von der Bewegung wurde ihr schwindlig, sodass sie nicht klar denken konnte. Er hat nur eine andere Stimme. Mehr nicht. Er ist immer noch Grey. Sie hörte das unheilvolle Klirren und Knirschen, das von bewaffneten Männern stammte – Leder, Trensengebisse und geschulterte Gewehre. An allem hafteten Traum und Unwirklichkeit. Sie musste wach werden. Er ist immer noch Grey. Stell dich nicht wie ein dämliches Schulmädchen an.
    Grey wusste, was zu tun war. Er war der Ruhepol inmitten des Chaos. Sie würde ihm vertrauen und tun, was er sagte, und erst später denken. »Ich werde deutsch sprechen.« Das war leicht. Sie passte ihren Akzent seinem an. Dem eines Dorfes, in dem sie gelebt hatte, etwas weiter östlich auf halbem Wege zwischen München und Salzburg. Die schwungvolle Sprechweise von Bergen und grünen Tälern.
    »Von jetzt an nur noch Deutsch, Annique. Euer Name ist Adelina Grau. Ich bin Euer Ehemann Karl. Wir sind seit sechs Monaten verheiratet. Adrian ist Euer Bruder Fritz Adler. Euer Zwillingsbruder. Ihr kommt aus Grafing. Ich bin Professor an der Universität München und auf dem Weg nach London, um an der Royal Academy ein paar Vorlesungen zu halten.« Er streifte etwas über ihren Finger. Einen Ring. Er war ihr zu groß und hatte einen glatten Cabochon-Stein. Adrian hatte ihn getragen. Sie wusste, wie er sich anfühlte. Sie drehte ihn um, damit der goldene Teil oben lag und der Ring wie ein schlichter Ehering aussah.
    »Adelina. Karl. Mein Bruder Fritz.« Das hatte sie schon hundertmal gemacht, hundert Geschichten erzählt, hundert verschiedene Rollen gespielt. Schon bemühte sie sich, auf Deutsch zu denken. Sie konnte alles tun, was man von ihr verlangte. »Der Kutscher?«
    »Verdammt. Ja. Josef Heilig. Er arbeitet seit zehn Jahren für mich.«
    »Josef«, wiederholte sie. Grey half ihr, aufrecht zu sitzen, als hätte er Angst, sie könnte ohnmächtig werden. Das würde ihr nicht passieren, nicht während der Arbeit. Noch nie in all den Jahren war sie während der Arbeit zusammengebrochen.
    Unter lautem Klirren der Geschirre und den germanischen Worten, die Doyle den Pferden zurief, hielt die Kutsche an. Grey begann, sich in verärgertem Tonfall zu beschweren. Sie hätte ihn wohl fragen sollen, was für ein Professor er war, doch wozu. Wenn jemand Fragen stellte oder auch nur einen näheren Blick auf sie warf, waren sie ohnehin verloren.
    »Dass die immer so übertrieben diensteifrig sein müssen, diese Franzosen«,

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