Joanna Bourne
vor unserer Abreise bekommen hätte. Noch einmal, in Rouen hat mir niemand gesagt – «
»Ja, ja. Der Stempel. Er ist reine Formsache.« Die Stimme des Leutnants verriet, dass er sich viel lieber mit Grey befassen würde als mit dessen junger Frau, schwanger , und der Gefährdung seiner Uniform, geschweige denn seiner Würde, wie hübsch auch immer sie anzuschauen war. »Ihr müsst im Büro des Bürgermeisters von Dorterre dieses Versehen berichtigen lassen. Das ist alles. Schwierige Zeit zum Reisen für Eure Frau, non ?«
»Schwierig?« Grey verharrte kurz in verwirrtem Schweigen. »Nein, nein, Ihr versteht das falsch. Sie ist jung und stark, meine Adelina. Ihr Zustand ist doch das Natürlichste von der Welt. In dieser Zeit neigen Frauen zum Übertreiben.« Er wechselte ins Deutsche. »Es ist alles wieder gut, Adelina. Schluss jetzt mit der Übelkeit, hast du verstanden?«
Sie gab das Nicken einer jungen, gehorsamen Ehefrau zum Besten. »Ja, Karl.« Ihre Haut war kalt und schien schlecht zu ihr zu passen. Ihr war wirklich übel. Manchmal war sie von ihrem eigenen Schauspieltalent überrascht. »Vielleicht dürfte ich mich für ein paar Minuten hinsetzen. Mir geht’s nicht – «
»Nein, Adelina. Du darfst dich nicht so gehen lassen. Was du jetzt brauchst, ist Bewegung. Ein kleiner Spaziergang neben der Kutsche über die nächste Meile wird dir sehr guttun.«
Der Leutnant räusperte sich. »Im nächsten Dorf gibt es ein Gasthaus. Ich kenne es gut. Ein höchst angenehmer und respektabler Ort. Madame könnte sich dort ausruhen, bis die Hitze des Tages vorüber ist.«
Nachdem sie sich so in ihre Rolle hineingesteigert hatte, fühlte sie sich jetzt tatsächlich ausgesprochen unwohl. »Karl, mir ist so furchtbar – «
»Papperlapapp. Ich habe mich ein wenig kundig gemacht.« Grey klang so unerträglich selbstgefällig. Mit seinem unbeugsamen, stahlharten Griff stützte er sie die ganze Zeit und sprach ihr Mut zu. »Dies ist ein absolut natürlicher Vorgang, der nicht das leiseste Unbehagen auslösen sollte. Stuten wird nicht übel, Katzen wird nicht übel. Es gibt also keinen Grund, warum Frauen übel werden sollte. Ich habe es dir doch erklärt, Adelina. Von meinem Freund Herrn Professor Liebermann gibt es eine wissenschaftliche Abhandlung zu diesem Thema, die ich dir gerne vorlesen … Adelina, was machst du denn da?«
Sie riss sich los, tastete sich am Wagenrad entlang, krümmte sich mit in den Bauch gedrückten Fäusten und übergab sich bei leerem Magen. Anscheinend hatte sie schon seit einiger Zeit weder etwas gegessen noch getrunken. Dies hinderte sie nicht daran, abscheulich zu erbrechen.
»Ich … Wir werden sie nicht weiter aufhalten.« Der Leutnant klang wie fünfzehn und reichlich entsetzt. Er zog sich schleunigst zurück. Tatsächlich schienen alle – Männer, Pferde und Musketiere – sehr bestrebt zu sein, den Schauplatz sofort zu verlassen. Auf der Fahrbahn trappelten Hufe. Grey, immer noch ganz Bayer, keifte: »Adelina, wenn du dich einfach nur konzentrieren würdest, wäre dir nicht übel. Du musst an etwas anderes denken.« Er schirmte sie vor den Blicken der anderen ab. Zärtlich strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und half ihr, sich aufzurichten, was sie nicht mehr von alleine geschafft hätte.
»Füchschen, das war ja wohl eine verdammt überzeugende Vorstellung.« Adrian klang erschöpft. Er sprach noch immer deutsch. Sie waren so geschickt, diese Briten. Der Rhythmus einer Sprache sagte mehr als deren Worte. Einer der Gendarmen könnte noch immer in der Nähe sein, lauschen und die Veränderungen in der Stimme bemerken, wenn sie wieder ins Französische wechselten.
»Es ist das Gift, mit dem wir sie füttern, Adrian, gib mir … Gut.« Grey tupfte ihr Gesicht mit einem feuchten Tuch ab. »Fertig?«
Sie nickte nur. Es war nicht so, dass es zu anstrengend war, deutsch zu reden. Sie wollte einfach nur sterben.
»Trinkt das.« Grey hielt ihr etwas an die Lippen.
Nicht schon wieder. Sie schlug ihm das Glas aus der Hand und hörte es auf dem Boden zerspringen. Zum Weglaufen war sie zu schwach und benommen. Sie konnte sich lediglich mit dem Rücken an die Kutsche drücken und ihren Mund mit dem Arm verdecken. Bringen würde es ihr nichts, da sie keine Kraft hatte, um sich zu wehren.
»Verdammt noch mal, Annique, das war doch nur Wasser.«
Adrian klang wie immer leicht amüsiert. »Er sagt die Wahrheit. Die ganze Gegend wimmelt nur so von bewaffneten Franzosen. Wir können die
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