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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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einem erstaunlich klaren Urteilsvermögen führten. Bis jetzt war davon nichts zu spüren, was aber noch passieren konnte, da es noch viele Meilen bis London waren. Sie würde sich einen Laib Brot kaufen, wenn sie Dover verließ. Man sparte am falschen Ende, wenn man hungerte, obwohl man einen weiten Weg vor sich hatte.
    Sie befand sich auf dem Obst- und Gemüsemarkt in der Nähe des Hafens. Als sie die Orangen bewunderte, die so herrlich rund waren, die diese seichten Grübchen und so eine kräftige Farbe hatten, dass man sich die Hände daran wärmen konnte – zuvor hatte sie sich nichts aus Orangen gemacht – , bemerkte sie den schielenden Mann, der neben einer Pyramide aus Äpfeln stand und sie beobachtete. Als sie zu den Kürbissen und Zwiebeln weiterschlenderte, folgte er ihr. Welch ein Interesse.
    Es war ziemlich nachlässig von ihr gewesen, so herumzubummeln. Wäre sie noch eine Spionin mit Order gewesen, hätte sie schon früher gemerkt, dass sie verfolgt wurde.
    Tiens . Das war nicht gut. Waren ihr etwa diese englischen Behörden bereits auf der Spur oder reichte Fouchés langer Arm bis über den Kanal? Oder war »Silberblick« nur ein gemeiner Vergewaltiger oder Dieb? Wie auch immer … sie wollte ihm nicht begegnen.
    Sie tauchte unter die rot-weiß gestreifte Markise eines Standes und huschte zwischen würdevollen Matronen und Körben voller Kohlköpfe hindurch. Mon Dieu , sie hatte aber doch gar keine Jungenkleidung an. Ein Junge ihrer Größe hätte wie ein Hirsch rennen können, ohne dass es jemanden kümmerte. Aber eine Frau, die sich unschicklich schnell bewegte, zog die Blicke auf sich. Umgedrehte Köpfe markierten den Weg, den sie zurücklegte.
    Also nichts wie weg und dorthin, wo nicht so viele Augen waren. Sie traf auf kleinere Straßen. Bisher hatte sie noch keine Ecke in Dover gefunden, die schön war, aber diese Gegend war besonders scheußlich. Jetzt rannte sie schnell, nahm mal den linken, mal den rechten Weg in diesem Labyrinth aus engen Gassen. Der Schielende – seiner schnellen Füße und Raffinesse nach, musste er Franzose sein – war immer noch hinter ihr. Und kam allmählich näher.
    Sie würde einer Konfrontation nicht aus dem Wege gehen. Da war es besser, sie suchte sich den Schauplatz dafür selber aus, als dass sie letztlich in eine Sackgasse getrieben wurde.
    Also dann hier. Sie blieb rutschend stehen, hob ihr Kleid und zog Adrians Messer aus dem Tuch, mit dem sie es an ihrem Oberschenkel fixiert hatte. Beruhigenderweise lag es ihr gut in der Hand, eine hinterlistige Zwölf-Zentimeter-Klinge, die man auch werfen konnte … wirklich typisch für Monsieur Adrian. Sie zog sich das Tuch vom Kopf und warf es beiseite, entledigte sich schulterzuckend ihres Schals und drückte das Messer an ihren Rock.
    Zu beiden Seiten der Gasse standen unfertige, nachlässig gebaute Ziegelsteinmauern. Auf dem Pflaster türmte sich stinkender Müll. Der Durchgang war von abweisenden Steinhäusern gesäumt, deren kleine, mit Läden versehene Fenster ebenso wie die Türen verschlossen waren. Niemand würde ihr zu Hilfe eilen, wenn sie schrie. Niemand würde bemerken, was hier vor sich ging.
    Silberblick kam um die Ecke und blieb, überrascht sie hier zu finden, stehen. Er schaute sich kurz um und sah dann misstrauisch in ihre Richtung. Da stand diese Frau tatsächlich ganz allein auf der Straße. Er griff in seine Jacke, zog einen schmalen Dolch hervor und ging dann zögerlich auf sie zu.
    Sie rührte sich nicht vom Fleck, ließ ihn näher kommen. »Warum verfolgst du mich? Ich habe keine Lust auf eine Unterhaltung mit – «
    Hinter ihr knirschte ein Stiefel auf dem Pflaster. Es war ein leises, doch durchdringendes, boshaftes Geräusch, das sie in Angst und Schrecken versetzte. Sie fuhr herum. Henri Brévals Schatten fiel auf sie. Er schnitt ihr den Fluchtweg ab. Sie saß in der Falle.
    Wie ein Trottel war sie hineingetappt und blickte jetzt dem Tod entgegen.
    Aber doch nicht so. Sie drückte sich schützend mit dem Rücken an die Ziegelsteinmauer und behielt beide Männer im Auge. Ich bin das Füchschen, und ich bin nicht eine Million Meilen durch die Hölle marschiert, um durch die Hände dieses Gesindels zu sterben. Sie stieß den Atem stoßweise zischend aus, um die Angst zu vertreiben. Das war kein hoffnungsloser Fall. Sie waren nur zu zweit. Erst würde Silberblick ihr Messer zu spüren bekommen, dann würde sie über ihn hinwegsetzen und um ihr Leben rennen. Ein einfacher, aber guter Plan.

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