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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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seiner Größe konnte er gemächliche Schritte machen und trotzdem mit ihr mithalten. »Dann nehmt Ihr die Canterbury Road. Ich zeig sie Euch.«
    Während er das Straßenlabyrinth Dovers nach und nach für sie entwirrte, sprach er kaum ein Wort. Schließlich wies er geradeaus. Die Canterbury Road führte geradewegs bergauf und sah recht anstrengend aus, ein typisches Merkmal für die Straßen, denen sie in ihrem Leben schon begegnet war. Als sie sich umdrehte, um ihm zu danken, hatte er sich bereits in die Gegenrichtung aufgemacht. Er hatte nicht einmal gewartet, um sich zu verabschieden.
    Sie sah, wie er energischen Schrittes auf den Hafen zuhielt, wobei er sich dank seiner schwarzen Mütze und Schultern von den anderen Leuten auf der Straße abhob. Er war nett anzusehen, mit seinem vom Herumschleppen illegaler Waren gebräunten, stählernen Körper. Ein Schmugglerleben war anscheinend recht gesund, sofern man nicht gehängt wurde.
    »Das ist nicht fair«, sagte sie leise zu sich selber. Leute, mit denen sie lieber nichts zu tun haben wollte – wie Leblanc – begegneten ihr immer wieder. Jemand wie Robert Fordham, der ihr noch vor einer Stunde das Leben gerettet hatte, marschierte einfach davon.
    Ohne Zweifel lebte er dort in einem der Steinhäuser mit seiner Frau und drei kleinen Kindern, die alle schiefergraue Augen hatten. Jetzt eilte er gewiss zu ihnen nach Hause. Auf dem langen Anstieg aus Dover heraus vertrieb sie sich die Zeit damit, zu überlegen, welches Haus wohl seines war und was ihm die gute Frau, seine Ehefrau, zum Abendessen bereitete.
    Die weißen Felsen in ihrer Nähe hatten eine seltsame helle Farbe, so als bestünden sie aus altem Schnee. Vögel flogen in den unterschiedlichsten Höhen. Der hinter ihr liegende Ozean war an diesem Nachmittag blau wie die warmen Gewässer des Südens. Sie entfernte sich von Dover und dachte an den römischen Historiker Tacitus, der über England geschrieben hatte, und fragte sich, wohin sie gehen würde, nachdem sie in London Soulier getroffen und ihre Angelegenheiten geregelt hatte. Natürlich musste sie sich in Sicherheit bringen, aber auch ihren Lebensunterhalt verdienen, da sie nicht mehr von gestohlenen Geheimnissen leben konnte. Vielleicht würde sie ja Köchin werden.
    Sie war noch immer in Sichtweite des Meeres, als sie bemerkte, dass sie verfolgt wurde.

18
    Grey holte Fletch ein ganzes Stück von Dover entfernt auf einer offenen, bergauf führenden Strecke der Canterbury Road ein. Das Meer war nur noch ein flacher, blauer Streifen am Horizont. Fletch war von einem Gemüsekarren mitgenommen worden und blieb, in die Kohlblätter getaucht und mit einem Taschenfernglas bewaffnet, auf Distanz. Fletcher war ein fantasievoller Mann.
    Es war Fletchers Pferd, auf dem er saß. Was brachte es schon, Chef der Spionage zu sein, wenn man sich nicht einmal ab und zu ein Pferd borgen konnte.
    Als er den Wagen passierte, deutete er mit den Händen eine Schere an und entband Fletch damit von seiner Aufgabe, Annique zu verfolgen. Friedfertig wie er war, ignorierte er Fletchs Antwortgeste. Bei Gelegenheit würde Fletch seinen Gaul schon zurückbekommen. Er schnalzte und trieb den Wallach in einen zügigen Schritt.
    Er bekam mit, wie sie ihn erspähte. Die Gestalt in der Ferne wirkte plötzlich alarmiert, wie ein Reh, das verharrte, um die Witterung seines Jägers aufzunehmen. Nur eine halbe Sekunde, dann entspannte sie sich auf ebenso subtile Weise. Sie musste herausbekommen haben, wer er war. Dafür musste sie sich nicht einmal nach ihm umdrehen. Was für eine Spionin, diese Annique Villiers.
    Als er neben ihr ankam, sagte sie: »Ihr folgt mir.«
    »Nein, das stimmt nicht. Ich bin genau neben Euch.« Er stieg ab und spazierte weiter, mit den Zügeln in der Hand.
    Er war mehr denn je von ihr beeindruckt. In ihrem farblosen, handgewobenen Kleid und dem über den Kopf gezogenen Schal verschmolz sie wie eine Wachtel mit der graubraunen Landschaft. Sie war zu einer unscheinbaren Bauersfrau geworden. So konnte ein Mann an ihr vorbeireiten, ohne auch nur eine Ahnung von ihrer Schönheit zu bekommen.
    »Das ist sehr spitzfindig, Robert Fordham. Also, warum folgt Ihr mir?«
    »Um Euch zu beschützen, bis Ihr in London seid.«
    »Das Problem ist, dass ich zu viel rede.« Sie seufzte und ging weiter, wobei sie stur geradeaus schaute. »Wenn ich mein Mundwerk halten könnte, würde ich nicht immer in solche Situationen geraten. Ihr seid wirklich zu freundlich, Monsieur, aber ich

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