Joanna Bourne
brauche Euren Schutz nicht.«
In Frankreich hatte sie ihn immer »Monsieur« genannt. Er wollte nicht an dieser Erinnerung rühren. »Robert.«
»Robert«, stimmte sie bereitwillig zu. Mit jeder Minute, die verging, wurde er für all ihre Sinne immer mehr zu »Robert«. Er wurde ihr vertraut. Bald würde sie in ihm nur mehr Robert sehen. »Robert … « Aus ihrem Mund klangen die beiden lang und weich gerollten R am Anfang und Ende des Wortes wie eine Liebkosung. »Mein Leben lang habe ich gefährliche Spiele gespielt, und bisher hat es noch niemand geschafft, mich zu töten; nicht einmal Monsieur Leblanc, dem es an Entschlossenheit und Eifer keinesfalls mangelt. Es wäre mir viel lieber, Ihr ließet mich allein.«
Nie im Leben. »Nein.«
»Nein? Mehr habt Ihr dazu nicht zu sagen? Eh bien , wenn ich so wortkarg wäre wie Ihr, hätte ich erheblich weniger Ärger.«
Sie blieb stehen, wählte sorgfältig eines der langen Gräser am Straßenrand aus und pflückte es. Während sie weiterging, schälte sie den Stängel mit dem Daumennagel. »Ich möchte mal etwas klarstellen, Mr. Fordham. Ich bin Euch über alle Maßen dankbar, dass Ihr mir das Leben gerettet habt, aber ich werde nicht mit Euch schlafen.«
In Frankreich hatte er bereits eine Kostprobe ihrer überwältigenden Geradlinigkeit erhalten, als sie seine Gefangene gewesen war. »Ich habe Euch doch gar nicht darum gebeten. Seid Ihr immer so offen?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Es ist dieses Englisch. Man kann sich in dieser Sprache einfach nicht so nuanciert und schön ausdrücken, da sie nicht so feinfühlig wie Französisch ist. Außerdem habe ich seit meiner Kindheit kaum noch Englisch gesprochen. Nur gelesen.« Sie gestikulierte mit dem Grasstängel. »Ich muss Euch das sagen, auch wenn es recht taktlos klingt. Ich will Euch nicht anlügen, Robert. Ihr verschwendet Eure Zeit … es sei denn, es gefällt Euch, Frauen zu quälen und zu zwingen.«
»Das ist nicht meine Art.« Das war eine Lüge. Er hatte Annique so hart geschlagen, dass sie zusammengekrümmt am Boden lag und nach Luft schnappte. Es klang daher etwas paradox, als er sagte: »Ich werde Euch nicht anrühren.«
»Dann begreife ich nicht, warum Ihr hier seid.«
»Da sind drei Männer, die Euch nach dem Leben trachten.«
»Weit mehr als nur drei, Robert.« Auf den nächsten hundert Metern dachte sie darüber nach, während sie ihn hin und wieder durchdringend anblickte und dabei am Halm knabberte. »Wisst Ihr was, ich glaube, es ist Euch ernst. Ist aber nicht notwendig, da ich ein alter Hase bin.«
Sie nahm den Stängel aus dem Mund und rollte ihn zwischen den Fingern vor und zurück. Dabei wirbelte das flaumige Ende wie ein Kinderspielzeug immer wieder heraus. »Ihr seid … Nun, Ihr seid sehr groß, stark, tapfer und ein guter Kämpfer. Die Männer, die mich verfolgen, sind aber voller Tatendrang und durch und durch bösartig. Dass sie hinter mir her sind, liegt allein an dem, was ich getan habe, und ist nicht Euer Belang. Ich sähe es ungern, wenn Euch etwas zustoßen würde.«
Dieses verrückte Frauenzimmer machte sich Sorgen um einen stämmigen und ungeschlachten Kerl, anstatt um ihre eigene Sicherheit. »Mir passiert so schnell nichts. Mögt Ihr ein Stück reiten? Mein Freund Harding hier … « Er hatte keine Ahnung, wie Fletch das Pferd nannte. Sein Lateinlehrer in Harrow war Harding genannt worden. »… würde sich glücklich schätzen, Euch ein Stück tragen zu dürfen.«
»Ihr habt mir überhaupt nicht zugehört. Also, ich muss schon sagen, dass England in Wirklichkeit noch seltsamer ist, als ich gehört habe. Ich glaube nicht, dass Engländer ihre eigenen Angelegenheiten einfach so vernachlässigen, um mit irgendeiner Frau, die sie in einer Gasse kennengelernt haben, nach London zu wandern. Das ergibt keinen Sinn.«
Es war eine ganz schön verzwickte Sache, Annique anzulügen.
»Ihr erinnert mich an eine Frau, die ich mal kannte.« Er hoffte, dass sein kurzes Zögern den Eindruck erweckte, dass er in alten Erinnerungen kramte, und nicht, dass er eine Geschichte aus dem Stegreif erzählte. »Nicht in England. Sie war Französin. Ich habe sie schlecht behandelt und kann leider nicht zurückkehren, um es ungeschehen zu machen.« Das kam der Wahrheit schon sehr nahe. Was er Annique schon angetan hatte, fraß ihn regelrecht auf. Vielleicht sickerte Bedauern durch seine Stimme. »Nun ist es zu spät.«
»›Doch das geschah vor langer Zeit in einem andern Land‹«, zitierte
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