Joanna Bourne
das werde ich.« Sie war sehr hungrig, und die Schnecken waren frisch und erstaunlich frei von Sand. »Ich wäre höchstwahrscheinlich tot, wäret Ihr nicht zufällig vorbeigekommen. Leblanc, müsst Ihr wissen, muss mich zum Schweigen bringen, da ich gewisse Dinge über ihn weiß, heikle Dinge. Leblanc ist derjenige, in dem mein Messer steckte. Henri, der mich auch mit Vergnügen beseitigen würde, ist der, den Ihr freundlicherweise in den Müll geschleudert habt.«
»Ihr solltet Euch von Gassen fernhalten.«
» Bien sûr . Das werde ich zukünftig auch ganz bestimmt tun.« Sie aß die letzte Schnecke auf. »Aber in ein paar Tagen kann mir nichts mehr passieren. Leblanc wird mich nicht noch einmal finden, wenn ich Dover erst verlassen habe. In England gibt es viele Ecken, um unterzutauchen.«
Sie hatte die Schneckengehäuse die ganze Zeit auf den Fußweg geworfen, so wie es hier jeder tat, wollte aber nicht das Gleiche mit dem Papier machen. Also zerknüllte sie es und steckte es in ihren leeren Teebecher.
Sie fühlte sich so herrlich satt. Am liebsten hätte sie sich wie eine Katze zusammengerollt und ein Nickerchen gemacht. Aber Katzen wurden nicht von den Spionen anderer Länder gejagt. »Ich danke Euch für die Schnecken und den Tee. Der war typisch englisch. Ich werde wohl noch jede Menge davon trinken müssen, um ihn schätzen zu lernen. Verratet Ihr mir Euren Namen? Es fällt mir schwer, aufrichtig Danke zu jemandem zu sagen, dessen Namen ich nicht kenne.«
»Ich heiße Robert Fordham.« Wie feierlich er das sagte. Als hätte er ihr ein Geheimnis anvertraut. Vielleicht war das auch so. Gut möglich, dass überall in der Stadt Suchzettel der Zollbehörde hingen, die ihn gerne hinter Gittern sähe. Er konnte nicht wissen, dass sie schon viele Geheimnisse für sich behalten hatte und er ihr seines ruhig anvertrauen konnte. »Freut mich, Euch kennenzulernen, Annique.«
Irgendwie hatte er die ganze Zeit einen grimmigen Gesichtsausdruck. Er war Kapitän – da war sie ziemlich sicher – und machte sich bestimmt regelmäßig ernsthafte Gedanken über die Sicherheit seines kleinen Schmuggelschiffes. Dieser Mann führte Männer mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie er atmete oder sich in eine Gasse warf, um einer Fremden das Leben zu retten. In Napoleons Armee hätte er mittlerweile längst einen hohen Posten inne, was in einer englischen Streitmacht mit ihrer alten Rangordnung natürlich nicht so einfach war.
Eine Möwe landete flügelschlagend neben ihren Füßen, drehte die weggeworfenen Gehäuse um und suchte nach Resten. Der ganze Markt war von unzähligen Möwen übersät. Die Fischhändlerinnen mussten sie ständig vertreiben.
Sie wusste, dass es an der Zeit war, sich auf den Weg zu machen. »Monsieur … Nein. In ein oder zwei Tagen werde ich es mir abgewöhnt haben, Französisch zu sprechen. Mr. Fordham, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, und ich bin jemand, der sonst immer etwas zu sagen weiß. Meine guten Wünsche sollen Euch begleiten, wofür auch immer Ihr sie benötigt.« Sie hatte keine Karte von Dover in ihrem Kopf. Eigentlich hatte sie von keiner englischen Stadt eine genaue Karte. Sie legte die Hand über die Augen und blickte zur Sonne. London lag nördlich, also würde sie nach Norden gehen. Es überraschte sie immer wieder, wie einfach es manchmal sein konnte. »Solltet Ihr jemals in Gefahr sein, dann kommt Euch hoffentlich jemand zu Hilfe.«
»Gleichfalls.« Der Mann erhob sich, als sie aufstand, und setzte sich mit ihr zusammen in Bewegung. »Wohin geht Ihr?«
Sie sagte ihm die Wahrheit, da sie ihm das Leben verdankte. »Nach London. Ich habe dort etwas zu erledigen.«
»Die Postkutsche nach London fährt vom Bear & Bells in der Stadtmitte ab. Am einfachsten geht Ihr zurück über den Marktplatz – «
Sie lachte. »Ich besitze nur drei Pfund, Monsieur … Mr. Fordham.«
»Robert.«
»Robert.« Der Name gefiel ihr. Sie sprach ihn auf ihre Art aus, französisch, damit er sich korrekt für sie anhörte. »Ich habe drei Pfund und sechs Pence. Es wäre dumm, das zu verschwenden. Also werde ich laufen.«
Er runzelte die Stirn. »Ihr könnt doch nicht von Dover nach London gehen.«
»Aber ja doch. Ich bin den ganzen Weg von Südfrankreich hierher gelaufen, bis auf ein paar Meilen, die ich mit der Kutsche zurückgelegt habe, und ich kann Euch sagen, es war angenehmer, zu Fuß zu gehen. Das ist keine so gewaltige Sache, nach London zu marschieren.«
Wegen
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