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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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sollen, hätte sie Kanonenmetallgrau gesagt. Die untere Gesichtshälfte war durch die vielen Bartstoppeln ziemlich dunkel. Nichts von alledem hätte ihn zu einem ansehnlichen Mann gemacht, und trotzdem war er es in ihren Augen.
    Im Allgemeinen hatte sie etwas für Seemänner übrig und viel Zeit damit verbracht, sich in den Häfen ganz Europas mit ihnen zu unterhalten. Dabei hatte sie eine Menge über Küsten-Verteidigungsanlagen und die Bewegungen von Kriegsschiffen erfahren. Normalerweise waren Seeleute redseliger als dieser hier.
    »Ich will Euch nicht mehr mit meiner Dankbarkeit langweilen, aber Ihr wart nun mal so tatkräftig und mutig zur Stelle, dass ich heute noch nicht sterben musste. Wenn Ihr bitte ganz kurz wegschauen würdet, könnte ich mein Geld aus meinem Versteck holen.« Auf der anderen Straßenseite befand sich eine Schankstube. »Das Haus da sieht zwar nicht gerade anständig aus«, stellte sie ehrlich mit Blick auf die darin befindlichen Damen fest, »aber das Bier riecht ziemlich gut. Ich bin mal eine Weile mit einem Mann gereist, der einen Krug Bier ein ›kühles Blondes‹ genannt hätte, obwohl er nicht mehr dazu kam, es mir beizubringen. Ich spendiere Euch so ein kühles Blondes.«
    »Ihr werdet mir nichts zu trinken kaufen. Mit diesem Ort solltet Ihr nichts zu tun haben, und das wisst Ihr.« Er betrachtete sie noch etwas länger. »Ich werde uns beiden etwas holen. Wartet hier. Rührt Euch nicht vom Fleck, bis ich zurück bin.«
    In einer Ecke des Marktes waren lauter Stände mit Essen. Diese waren sein Ziel. Sie verfolgte seinen Weg durch die Menge. Er ging davon aus, dass ihm jeder Platz machte, was auch so war. Vielleicht ließ seine Kleidung auf einen Vollmatrosen schließen, doch aus seiner Haltung sprach Autorität. Er war vermutlich Steuermann oder Kapitän.
    Und sehr wahrscheinlich war er eigentlich gar kein Fischer. Selbstbewusst schritt er über den Markt von Dover. Von ihren Schmugglerfreunden hatte sie schon viel von den englischen Pressgangs gehört. Die englische Marine holte sich genau solche großen und starken Männer, markierte ihre Hände mit Pech und verschleppte sie auf ihre Kriegsschiffe, wo sie ein schlechtes und strapaziöses Leben fristeten. Es sei denn, man genoss mächtigen Schutz. Die Schmuggler hatten großen Einfluss an der Südküste Englands.
    Sie war sich fast sicher, dass er wie ihr Freund Josiah ein englischer Schmuggler war. Schmuggler waren äußerst gerissene Leute, und da würde es keineswegs überraschen, wenn sie so einem ihr Leben verdankte. Wie interessant ihr Leben in England doch zu werden versprach.
    Er war so groß, dass sie mit dem Blick seinem Weg durch die Marktbuden leicht folgen konnte. Als er einen Stand ausgesucht hatte, ließ die Marktfrau einen anderen Kunden wie eine heiße Kartoffel fallen und eilte zu ihm, um ihn zu bedienen. Eigentlich war diese Frau schon alt genug, um nicht so naiv zu sein, auf ein paar breite Schultern hereinzufallen. Oder aber, sie war gar nicht so dumm. Als er ging, warf er ihr eine Silbermünze zu und verzichtete auf das Wechselgeld.
    Er brachte eine Tüte voll Wellhornschnecken mit. Abgesehen davon, dass es englische Schnecken waren, sahen sie genauso wie die aus, die sie vor zwei Tagen in der Fischerhütte in St. Grue gegessen hatte. Außerdem hatte er zwei Becher Tee dabei, die er sehr geschickt mit einem Finger trug, den er in die Henkel gehakt hatte. Der Tee enthielt zwar reichlich Milch und einen Haufen Zucker, was sie beides nicht mochte, aber da er ihr das Leben gerettet hatte, hätte sie auch ein von ihm angebotenes Büschel Gras glücklich verzehrt.
    Er setzte sich, trank den Tee und sah zu, wie sie die Schnecken mit einem glatten Holzstäbchen aus den Gehäusen zog. Zwei Hausfrauen schlenderten mit ihren Einkaufskörben, weißen Schürzen und hübschen Häubchen vorbei. Sie warfen ihr verstohlene Blicke zu. Die Nutten kamen ans Fenster der Schenke, tuschelten miteinander und zeigten noch etwas mehr Haut an den Schultern. Und wie recht sie hatten. Er war groß und sehr stattlich. Sie würde sich für die paar Minuten neben ihm der behaglichen Atmosphäre erfreuen.
    »Ich bin Annique. Das habe ich Euch noch gar nicht gesagt.« Nein, der Tee erhöhte nicht den Grad ihrer Bekanntschaft. »Annique Villiers. Ihr habt mir das Leben gerettet. Das war nicht nur ein banaler Streit, den Ihr da beendet habt, Monsieur, je vous assure .« Sie kaute. » Peste . Von nun an spreche ich nur noch Englisch. Oh, ja,

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