Joanna Bourne
etwas zu sehr strapaziert«, berichtete Galba. »Und Doyle ist seit gestern zurück. Er war ein Weilchen in französischem Arrest, aber ihm ist nichts geschehen.«
»Wir haben noch mal Glück gehabt.« Robert stieß sie, die steif und widerstrebend dastand, nach vorne. »Sir, darf ich Ihnen Mademoiselle Annique Villiers vorstellen? Annique, dies ist – wie Ihr zweifellos erraten haben dürftet – Galba.«
»Mademoiselle, ich bin sehr froh, Euch endlich kennenzulernen.«
»Sie sollte sich lieber setzen.« Robert schob sie in den mit Blick zum Schreibtisch stehenden Polsterstuhl und stellte sich hinter sie. Er hielt sie mit warmem, schwerem und unbarmherzigem Griff an der Schulter fest. »Sie hat Angst.«
Wie konnte das passieren? Die ganze Welt stand plötzlich Kopf. Wie war sie nur hierher, in dieses stille, geheime Haus geraten, wo sie nun wehrlos in der Falle saß?
Es war Grey, der sie festhielt, aber auch Robert. Dort, wo andere Männer ein Herz hatten, gab es bei Grey nur Unbarmherzigkeit. Nichts von alle dem, was sie über Robert wusste, war echt oder real. Es waren Greys Hände, mit denen sie gerungen und die sie gestützt hatten, die über jeden Winkel ihres Körpers Bescheid wussten. Es waren Roberts Hände, deren Bild sich regelrecht in ihr Gedächtnis gemeißelt hatte. Derselbe Mann. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Seele dieses Wissen ertragen konnte, ohne daran zugrunde zu gehen.
Jemand stahl sich hinter Grey ins Zimmer und postierte sich, lässig an die Wand gelehnt, neben ihnen. Er war schlank, jung, schwarzhaarig und wie ein Londoner Dandy gekleidet. Sie wusste nicht, wer er war, bis sie seinen Blick sah. Dann erkannte sie ihn. Es würde noch Jahre dauern, bis der Rest von ihm das Alter dieses Blickes eingeholt hatte. Er lächelte sie etwas traurig und mitleidig an. Adrian.
Doyle würde auch irgendwo im Haus stecken. Die furchterregendsten und gefährlichsten Gegner standen ihr gegenüber. Zur Täuschung dieser streng blickenden, geduldigen Männer hatte sie keine Lügengeschichte parat. Sie war die Maus in einem Haus voller Katzen. Absolut chancenlos.
Galba klopfte leise auf den Tisch, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. »Mademoiselle, Ihr könnt mir ruhig glauben, dass wir Euch nur das Beste wünschen. Ich werde Euch unter keinen Umständen wehtun, in welcher Weise auch immer. Verständlicherweise seid Ihr sehr erschrocken. Wir werden Euch Zeit geben, um Euch an die neue Situation zu gewöhnen.«
Bald würde es beginnen, das Verhör. Eine Zeit lang würden sie sich noch nett geben.
»Diese Situation ist mir gar nicht so neu.« Gott sei Dank blieb ihre Stimme fest. »Ich bin schon früher in den Händen von Männern gewesen, die etwas von mir wollten, Monsieur Galba. Ich mache mir da nichts vor. Am Ende tut es doch weh.«
Sie hörte, wie Grey hinter ihr murmelte: »Um Himmels willen.«
Galba schlug ein Buch auf, das neben ihm auf dem Schreibtisch lag, blätterte ein paar Seiten um und schloss es dann geräuschvoll. »Ich kann nicht glauben, dass Euch Eure Mutter in dem Glauben hat aufwachsen lassen, dass der britische Geheimdienst in diesem Haus Leute foltert. Das ist mir unbegreiflich.«
»Ich glaube, meine Mutter hat mir überhaupt nichts über den britischen Geheimdienst erzählt. Sie hat nie direkt gegen Euch gearbeitet. Und ich auch nicht.«
»Hat irgendjemand jemals einen derartigen Vorwurf gegen meine Organisation erhoben?« Verärgerung lag in Galbas Stimme.
Die Verhörmethoden des britischen Auslandsgeheimdienstes waren in diesem Moment zu einer Angelegenheit höchster Dringlichkeit geworden. Sie spornte ihr Gedächtnis vehement an, bis es einigermaßen arbeitete. Der britische Inlandsgeheimdienst MI hatte einen schlechten Ruf. Aber Galbas Leute … ? Im Außeneinsatz gab es Tod und Gewalt – schließlich ging es nicht um Kinderspiele –, doch in dem unermesslich weiten Spektrum ihrer Erinnerung sprach nichts von Folter.
»Ich habe nichts Derartiges gehört«, gab sie zu.
»Dann redet nicht so dummes Zeug daher. Auch mit Angst solltet Ihr als Tochter Eurer Mutter mehr Verstand zeigen.« Doch dann schüttelte er den Kopf und machte eine wegwerfende Geste über dem Schreibtisch. »Ich nehme das zurück. Ihr seid erschöpft, steht unter Schock und habt es mit Barbaren wie Leblanc zu tun gehabt. Das unterwandert Euer Urteilsvermögen. Und in einem Punkt habt Ihr recht. Ich will, dass Ihr am Ende mit mir zusammenarbeitet.«
Ihre Haut fühlte sich, abgesehen von
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