Jodeln und Juwelen
Bittersohn? Er schreibt gerade ein
Buch über antiken Schmuck.«
»Bittersohn schreibt ein Buch?«
Sekundenlang verlor der Graf beinahe die Fassung. »Mr. Bittersohn ist ein Mann
mit vielen Talenten.«
»Momentan ist er leider ein wenig
unpässlich«, erwiderte Emma. »Er hatte das Pech, sich während einer
Geschäftsreise das Bein zu brechen. Ein dreifacher Bruch. Die Ärzte haben den
Knochen genagelt, und meine Nichte musste nach Danzig fliegen, um ihren Gatten
abzuholen. Sie hatte jede Menge Ärger, mit dem Gipsverband durch den Zoll zu
kommen. Die Stahlnägel haben am Flughafen immer wieder Alarm ausgelöst. Die
Beamten dachten schon, er hätte irgendwo eine Waffe versteckt.«
»So etwas kann auch nur Bittersohn
passieren. Dann ist diese entzückende Frau, die er geheiratet hat, Ihre Nichte?
Die Familienähnlichkeit ist in der Tat nicht zu übersehen.«
Was natürlich völliger Unsinn war. Es
gab keinerlei Blutsverwandtschaft zwischen Sarah und der Witwe ihres
verstorbenen Onkels, auch wenn dies durchaus möglich gewesen wäre. Die Kellings
neigten dazu, entfernte Familienmitglieder zu heiraten, um ihr Vermögen nicht
in alle Winde zu zerstreuen und es Außenstehenden in den Rachen zu werfen, die
möglicherweise in die Versuchung gekommen wären, es auszugeben. Doch Emma war
willens, Radunov einige Pluspunkte für seine gute Absicht zu geben.
»Dann kennen Sie meine Nichte also
bereits?«
»Zu meinem großen Bedauern habe ich Sie
nur ein einziges Mal getroffen. In der französischen Botschaft in Washington.
Sie war die eleganteste Frau dort, dabei trug sie noch nicht einmal ein
Designermodell. Ich berichte auch über die Haute Couture, müssen Sie wissen. In
diesem Sommer hoffe ich, durch die Großzügigkeit von Mrs. Sabine mein Glück zu
machen und mein trauriges Dasein als literarischer Tagelöhner zu beenden. Ich
beabsichtige nämlich, einen Bestseller zu schreiben. Unter einem weiteren
Pseudonym, versteht sich. Es soll eine spannende Liebesgeschichte werden. Über
Leidenschaft und Intrigen am russischen Zarenhof, über den ich allerdings, ganz
im Vertrauen, nur das weiß, was ich in anderen spannenden Liebesgeschichten
gelesen habe. Mrs. Sabine ist eine wundervolle Frau, sie sammelt die Bettler an
den Toren auf und gewährt ihnen Unterschlupf.«
»Ich glaube, so haben es die Sabines
noch nie gesehen«, widersprach Emma. »Es bot ihnen schließlich auch die
willkommene Möglichkeit, stimulierende Gespräche mit interessanten Menschen zu
führen.«
»Was für Sie sicher nicht nötig wäre,
verehrte Mrs. Kelling. Ich kann mir unmöglich vorstellen, dass es Ihnen zu
irgendeiner Zeit an Stimulation mangeln könnte.«
»Da könnten Sie Recht haben. In meinem
Fall ist es eher eine Frage der Überstimulation.«
Emma weihte Radunov kurz in die
Geheimnisse des Alltagslebens in Pleasaunce ein und weckte sein amüsiertes
Mitgefühl. »Sie sehen also, dass ich auf der Insel einfach nur die Gelegenheit
nutze, mich eine Weile auszuruhen, während ihr Genies eure Gehirne und Talente
ausschöpft. Sollen wir?«
Sie machte Anstalten, in Richtung
Oberdeck zu gehen. Sofort griff der Graf nach ihrer Reisetasche.
»Darf ich? Ich verspreche auch hoch und
heilig, nicht zuzulassen, dass sie Ihnen noch einmal gestohlen wird. Der Himmel
möge verhüten, dass Ihre Feenkönigin ihre Krone verliert wie unsere
beklagenswerte Zarin, mit deren Privatleben ich mir einige schockierende
Freiheiten herausnehmen werde. Sehen Sie? Das müssen die anderen Gäste sein.«
Sonderlich adrett sahen sie wirklich
nicht aus, fand Emma. Warum waren Menschen jeglichen Alters, Geschlechts und
Körperbaus bloß immer der irrigen Meinung, Blue Jeans seien die ideale
Reisekleidung?
In Gedanken kehrte sie zurück zu dem
Feriencamp für Mädchen, das sie vor mehr Jahren besucht hatte, als ihr heute
lieb war. Ihre Eltern hatten sie zum Zug gebracht, wo sie ein Betreuer in
Empfang nahm und mit den Mädchen bekannt machte, die sie noch nicht kannte.
Niemand hatte sich für die Zugfahrt sonderlich in Schale geworfen, man trug ein
kariertes Baumwollkleidchen mit passendem Blazer oder ein Sommerkostüm mit
Hemdbluse, dazu Baumwollkniestrümpfe und solides Schuhwerk. Dazu passte
entweder ein Kurzhaarschnitt oder ein Knoten. Zöpfe und Korkenzieherlocken
waren verpönt und galten als Indiz für sentimentale Väter. Selbstverständlich
trug jedes Mädchen eine Kopfbedeckung, entweder ein keckes kleines Barett,
einen breitkrempigen Strohhut oder ein
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